Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
Kuchen. Irgendwoher mussten ihre Kurven ja kommen.
Wenn die Tante ihr Mittagsschläfchen hielt, nutzte ich fast immer die Gelegenheit, auf den Speicher hinaufzuklettern. Der war eigentlich eine »verbotene Zone«. Die Tür zum Dachboden hatte einen Magnetverschluss, und wenn man nicht aufpasste, machte der ein lautes »Klack«-Geräusch. Aber ich schaffte es meistens, die Tür völlig geräuschlos zu öffnen. Dahinter lag eine richtige Wunderwelt. Da standen jede Menge alte, verschnörkelte Möbel, Skulpturen aus Alabaster oder Metall, Ölbilder, große Büsten und orientalische Vasen herum. Alles Familienerbstücke, gesammelt über buchstäblich Jahrhunderte. In einer Truhe lagerte lauter Silberzeug, Taschen aus silbernem Mesh-Gewebe, mehrarmige Kerzenleuchter und altes, edles Besteck, das niemand brauchte. Wenn ich den knarzenden Koloss aufklappte, kam ich mir jedes Mal vor wie ein Pirat, der den lange verschollenen Schatz gefunden hatte.
In einem zweiten Speicherraum standen Schränke mit Kleidern und alten Pelzen, uralten Stolen aus Fuchsschwanz und Nerzmänteln. Ich bin ein Gegner von Pelzen, aber die Tiere, aus denen diese hier hergestellt waren, waren schon sehr lange tot. Sie stammten aus einer Zeit, als man sich über das Quälenvon Tieren für die »Gewinnung« von Pelzen noch keine Gedanken machte; die gesellschaftliche Sensibilität für dieses Thema entwickelte sich erst sehr viel später. Ich stellte mir vor, wie elegante Damen in vergangenen schneereichen Wintern damit eine Landpartie im Pferdeschlitten um das Gut herum unternommen hatten.
Doch es ging noch weiter: In einer Ecke waren fein säuberlich vergilbte Zeitungen gestapelt, die Jahrzehnte zurückreichten. Ich erinnere mich an Fotos von Frauen in Petticoats vor VW-Käfern und an Herren im Anzug mit altmodischen Hüten. Es gab vergilbte Romane in schnörkeliger Schrift und metallene Schatullen mit Bergen von schwarz-weißen Familienbildern. Hier oben vergaß ich vollkommen die Zeit. Alles hier oben befruchtete meine Phantasie.
Sobald ich hörte, wie jemand die Treppe heraufkam, versteckte ich mich schnell. Fast immer entdeckte mich die Tante trotzdem, schimpfte aber nur halbherzig: »Ich hab dir doch gesagt, du sollst das lassen.« Aber wirklich böse war sie mir nicht, glaube ich, es gab hier ja eigentlich auch wirklich nichts zu verbergen. Heute habe ich jede Menge Dinge in meiner Wohnung, die von Tante Katharinas Speicher stammen. In meinem Showroom gibt es einen goldenen Bilderrahmen, den ich von ihr geschenkt bekommen habe, als ich endlich zu Hause ausziehen konnte. Aber als ich auf dem Speicher bei ihr spielte, war dieser herbeigesehnte Zeitpunkt noch Lichtjahre entfernt.
Was mich an der Tante jedoch am meisten beeindruckte: Sie war eine begnadete Hobby-Schneiderin. Das, was sie für sich selbst entwarf und nähte, war erstklassig. Couture, Schneiderkunst, nicht weniger. Sie war zwar bereits zu meinen Kindertagen eine ältere Dame, aber dabei stets so schick wie die Queen: Sie trug lange klassische Mäntel, elegante Röcke, dazu einen perfekt passenden Hut, eine perfekt abgestimmte Tasche im Hermès-Stil und natürlich, das war ein Muss, schicke Schuhe.Sie sah ohne Ausnahme toll aus, dabei trug sie eine »stärkere« Kleidergröße, 44, 46 und später auch 48. Tante Katharina war ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Mode nicht nur gut aussieht, wenn man dünn ist. Von ihr lernte ich, dass jede Frau wunderschön sein kann – sie braucht einfach die richtigen Kleider.
Die Nähmaschine, an der Tante Katharina ihre Kleider macht, steht im großen Wohnzimmer in der Ecke. Der Tisch daneben ist voller Schnitte, Nadeln, Garnrollen und Stoffe. Gerade hat sie sich an die Maschine gesetzt, um einen Rock zu kürzen. Auf diesen Moment habe ich gewartet. »Ich muss dir was zeigen«, sage ich und hole den Block mit meinen Zeichnungen aus der Tasche. »Das ist für dich«, sage ich erwartungsvoll. Ich habe extra für die Tante ein Kleid entworfen. Es ist knielang und soll aus durchscheinendem schwarzem Spitzenstoff mit goldgelbem Futter genäht werden. Bei meinem letzten Besuch hatte ich mir diese beiden Stoffe ausgeguckt – die Tante hortet Unmengen verschiedene in einem alten Bauernschrank in einem unbenutzten Gästezimmer. Ich hatte die Stoffe gesehen und sofort gewusst, dass sie phantastisch zusammenpassten. »Oh, Harald«, sagt sie. »Das ist aber hübsch. Da kann ich ja gleich mit Nähen anfangen!«
ZEICHEN
I ch stand schon als Kind
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