Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
Mutter erwidert: »Wenn ich ihn tatsächlich verlassen würde, dann müsste ich am Ende noch für ihn aufkommen. Du weißt doch, dass er alleine nichts hinbekommt. Aber jetzt komm, lass uns lieber über was anderes reden.« Dann höre ich Absätze auf dem Parkett, ein Knacken, und die Musik setzt wieder ein.
Auch in der Familie meines Vaters gab es nicht nur Spießer. Eine sehr starke Frau in meiner Umgebung war Tante Katharina, eine Cousine meines Vaters. Die Tante betrieb mit ihrem Mann eine Getreidemühle. Dabei war die »Mühle« keiner dieser altmodischen Türme mit Windrad, gegen die Don Quixote im Märchen kämpft. Die Mühle der Tante war eine richtige Fabrik, in der das Getreide maschinell gemahlen wurde. Neben dem Betrieb gab es einen großen Gutshof mit weitläufigen Stallungen für Pferde, Kühe und Schweine. Auch Waldstücke und kleine Seen drum herum zählten zum Besitz. Meine Tante gehörte zu den Honoratioren der Stadt und war so prominent, dass sie sonntags in der Kirche ihren festen Platz hatte – und das wollte etwas heißen!
Dabei drängte sie sich nie in den Vordergrund. Sie besaß eine ganz natürliche Autorität und Würde, eine innere Haltung und Eleganz. Es war schön zu beobachten, wie die größten Wichtigtuer und Machos, die eben noch herumgeschrien hatten, ganz klein mit Hut wurden, sobald sie den Mund aufmachte. Ihre Meinung hatte in der Gemeinde Gewicht. Egal, ob es um eine Kunstausstellung in der Stadthalle, eine neue Straßenkreuzung oder auch nur um das Wetter ging. Selbst mein Vater ließ sich von ihr zurechtweisen wie ein Schuljunge. Trotzdem hat er nicht auf sie gehört, wenn sie ihm ins Gewissen redete.
Egal, was sie sagte, sie hatte dabei immer dieses charmante, laszive und leicht spöttische Lächeln auf den Lippen, das auch Marlene Dietrich kultivierte. Ein Lächeln, das ich bewundere, seit ich es das erste Mal gesehen habe. Sowohl bei der Dietrich als auch bei meiner Tante. Es war ein Lächeln, das jeden in seinen Bann zog.
Auch diese Tante führte ihr Leben auf besondere Art und Weise. Dabei ging es auf dem Anwesen nicht so »royal« zu wie in der Stadtvilla von Anita. Die Tante pflegte eine modernere und bürgerlichere Version des guten Lebens. Ihre Möbel waren zwar nicht antik, aber beim Schreiner maßangefertigt und sehr elegant. Sie benutzte für jeden Anlass anderes Porzellan. Wenn sie Geburtstag hatte oder ein anderes Fest gab, war das in jedem Fall bis ins Detail durchdacht. Sie lud dann neben der Familie die illustren Leute des Ortes ein, den Bürgermeister, Ärzte und lokale Künstler, ihre Feiern waren richtige gesellschaftliche Ereignisse. Auf gesteiften Tischdecken standen dann Kandelaber, Blumengestecke, auf jedem Platz gab es kunstvoll gefaltete Servietten und im Hintergrund lief klassische Musik.
Einmal, ich glaube, es war an ihrem fünfzigsten Geburtstag, hatte sie sogar Musiker engagiert. Ein kleiner Dicker saß hinter dem Cello, zwei dünne Jünglinge waren die Violinisten. Die einzige Frau spielte die Bratsche. Es wurden Stücke von Mozart und Haydn gegeben. Ich war fasziniert – nicht so sehr von der Musik als vom Kleid der Bratschistin. Es war bodenlang, schulterfrei und aus schwarz glänzender und fließender Seide. Direkt unter dem Busen befand sich eine Stickerei aus dunkel glitzernden Pailletten. Mit Jeans und T-Shirt hätte das Mädchen mit den glatten blonden Haaren, dem Seitenscheitel und der braven Haarklammer ganz durchschnittlich und ein bisschen langweilig gewirkt. In diesem Kleid war sie eine Göttin. Noch am selben Abend begann ich, in einem leeren Block Zeichnungen von Kleidern anzufertigen, die mich beeindruckt hatten oder die ich mir selbst ausdachte. Dieses hier kam auf die erste Seite.
Bei den Festen der Tante gab es stets ein mindestens fünfgängiges Menü, alle Freunde und Verwandten packten an, den Tisch zu decken und die Speisen aufzutragen. Aber auch an anderen Tagen kochte sie so gut, dass ich jeden Sonntag nach dem Mittagessen daheim um Punkt zwölf die Viertelstunde Fußweg von uns bis zum Anwesen der Tante lief. Bei ihr wurde erst um eins oder halb zwei gegessen, das fand ich ganz wunderbar. Ich hatte als Junge keine Probleme, zwei Mittagessen zu verdrücken, denn ich hatte immer Appetit. Vorab gab es meistens eine Suppe, darauf folgte ein deftiges Hauptgericht. Danach legte sich die Tante immer für eine halbe Stunde hin, und wenn sie wieder aufstand, gab es Kaffee und dazu immer ganz frischen, selbst gebackenen
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