Harka der Sohn des Haeuptlings
beide Hände vor die Augen, um den Zauber nicht sehen zu müssen. Die Leinwand trug das Ölbild eines Indianerhäuptlings vom Stamm der Schoschonen, fast lebensgroß und sehr wahrheitsgetreu. Der Cheyenne öffnete eine zweite Rolle, und das Bild eines Panihäuptlings erschien im Feuerschein.
Mattotaupa und die Kinder hielten unwillkürlich die Hand vor den Mund, wie sie bei einer Geistererscheinung zu tun gewohnt waren.
»Und diese Männer sind nun gestorben?« fragte Mattotaupa.
»Nein, nein«, versicherte der Cheyenne. »Sie leben.«
»Hier auf diesem sonderbaren Leder?«
»Nein, nein. Bei ihrem Stamm.«
Mattotaupa wehrte ab. »Ihre Geister sind hier! Leben sie doppelt? Das ist Zauber.«
»Sie leben doppelt. Hier auf diesem Bilde sterben sie nie.«
»Ho – das ist Zauber – weg damit, weg!«
Die Gäste rollten gehorsam die Leinwand zusammen und verpackten sie wieder. Mißtrauisch sah der Häuptling ihnen zu. Als man sich wieder am Feuer niedergelassen hatte, meinte er: »Es wäre besser, ihr würdet Bären jagen als die roten Männer verzaubern.«
»Jeder nach seiner Weise, Häuptling.«
»Hau. Werdet ihr mir zürnen, wenn ich die Spuren dieses Bären suche, der euch in die Flucht geschlagen hat?«
»Weitfliegender Vogel und Langspeer zürnen dir nicht. Sie sind sogar bereit, dich zu den Spuren zu führen. Für ein gutes Auge müssen die Fährten an einigen Stellen immer noch sichtbar sein. Wir schenken dir diesen Bären zur Jagd!«
»Hau, hau, gut, gut. Dafür mögen sich Weitfliegender Vogel und Langspeer auch von mir, Mattotaupa, dem Häuptling der Bärenbande, wünschen, was immer ich ihnen geben kann.«
»Gut, Häuptling. Wir wünschen uns nur eins: dein Bild.«
»Ho – nein!« Mattotaupa hob abwehrend die Hände, und auch Harka war sehr erschrocken, als er dieses Verlangen vernahm. Aber Mattotaupa besann sich rasch wieder. Er stand auf und sprach voll Würde: »Ich habe gesprochen – der weiße Mann hat seinen Wunsch gesagt. Er verlangt mein Bild, das ist mein Leben, das er da in seinen Zauber hineinzaubert. Mag es sein. Ein Dakota hat nicht weniger Mut als ein Pani oder ein Schoschone. Aber ich stelle eine Bedingung: Der weiße Mann erhält mein Bild erst, sobald ich den Bären habe!«
Der Mann mit dem gelben Bart nickte, und der Cheyenne erklärte: »Mit dieser Bedingung sind wir einverstanden! Mattotaupa ist ein großer Jäger, und er wird auch diesen furchtbaren und klugen Bären zu erlegen wissen!«
Um Mattotaupas Mundwinkel zuckte ein kleines schlaues Lächeln.
»Ich bin ein großer Jäger? Woher wissen meine fremden Brüder das?«
Der Cheyenne zögerte, aber der Weiße nickte ihm zu, und da sagte er: »Wir wissen es von den weißen Männern, die den Weg für das Feuerroß vorbereiten. Bei ihnen waren wir, ehe wir zum Felsengebirge ritten.«
»Wer kannte mich dort, wer wußte von mir zu sprechen?«
»Alle, mit denen wir sprachen. Die Krieger der Bärenbande, sagten die Männer dort, machen große Jagdbeute, und sie wissen große Geheimnisse.«
Als der Cheyenne diese Worte ausgesprochen hatte, geschah etwas, was unerhört schien und von niemandem im mindesten erwartet worden war.
Harka hatte wie die anderen Kinder und die Frauen dem Gespräch aufmerksam zugehört. So sehr ihn auch die Erzählung von der Begegnung mit dem grauen Bären gefangennahm, so vergaß er doch keinen Augenblick die erste Frage, mit der Mattotaupa die Fremden begrüßt hatte. Woher wußten sie, daß bei der Bärenbande kühne Jäger und Krieger lebten?
Als der Häuptling selbst im Gespräch jetzt auf diese Frage überraschend zurückgekommen war, spannten sich in Harka alle Nerven an. Denn vielleicht drang Mattotaupa von dieser Frage ausgehend weiter in das Rätsel des großen Zaubers ein, dessen Lösung Harka so leidenschaftlich, aber doch nur verborgen beschäftigte. Als der Cheyenne die Worte gesprochen hatte: Die Krieger der Bärenbande wissen große Geheimnisse drängte es Harka unwiderstehlich, aufzustehen und zu den Gästen am Feuer hinzugehen. Das gehörte sich für ein Kind nicht; es verstieß gegen jede Sitte. Die Männer würden ein solches Verhalten nicht kühn, sondern ungezogen finden und Harka mit Schande wieder wegjagen. Er zitterte vor einer solchen Beschämung, der Schonka aus dem Hintergrund zusehen konnte, aber trotzdem ging er zum Feuer, als gehorche er einer stärkeren Gewalt.
Mattotaupa betrachtete den Jungen mit großem Erstaunen, ohne zunächst etwas zu sagen. Harka ging zu dem
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