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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sich die Waffe wieder.
    Das Bärenbild war jetzt nicht mehr brauchbar; zerlöchert und durchbohrt bot es einen jämmerlichen Anblick und wurde von Kraushaar und Fremde Muschel weggebracht.
    Die Schützen blieben noch beieinander stehen und besprachen den Erfolg. Dabei wurde spürbar, daß nach dem Abklingen des allgemeinen Eifers, den der Wettbewerb erzeugt hatte, die alten Bedenken sich wieder rührten, und der Maler, der schon einzelne Worte der Dakota verstand, hörte da und dort wieder das Wort »Wakan«, Geheimnis, Zauber, und es fiel ihm auf, daß es schon wieder besorgte Blicke gab.
    Am Abend lud Gefiederter Pfeil, Mattotaupas Bruder, die fremden Gäste und einige Krieger in sein Zelt ein, und er hatte nichts dagegen, daß sich Harka und Harpstennah, die erfolgreichsten »Jäger«, auch in dem Tipi einfanden. Das Feuer flackerte, die Mahlzeit duftete, und anschließend lösten sich wieder die Zungen. Das Thema des Gesprächs waren natürlicherweise Bären und Bärenjagd. Alle Gedanken und Phantasien im Zeltdorf gingen jetzt in diese Richtung. Der weiße Mann ließ durch Fremde Muschel, der Englisch verstand und etwas Dakota sprach, vorsichtig nach dem Glauben, den Sagen und Legenden der Dakota über den Bären fragen, und der Bruder Mattotaupas berichtete mit langen Pausen dies und das. Die »Große Bärin« galt als Ahne der Bärenbande. Mattotaupa, das hieß »Vier Bären«, hatte in einem Frühjahr vier Bären erlegt, die er aus dem Winterschlaf aufstöberte, und auch das Traumbild, das er beim Eintritt ins Mannes- und Kriegeralter in der Einsamkeit nach langem Fasten gesehen hatte, hatte ihm mehrere Bären gezeigt. Bären seien nicht wie andere Tiere, erklärte der Herr des Zeltes. Die grauen Bären hätten eine menschliche Seele, ein Krieger wohne in ihnen, sie seien Wakan, heiliges Geheimnis.
    Das Wort schwebte mit dem Rauch der Pfeifen und Zigarren durch den halbdunklen Raum. »Geheimnis«. Überall, wo die Dakota sich als Jäger in der Wildnis bewegten, von tausend Zufällen abhängig, war ein »Geheimnis«. Geheimnis, das war schon den Kindern vertraut und unheimlich zugleich.
    Am Abend des folgenden Tages war Weitfliegender Vogel Gelbbart Gast im Zelt von Fremder Muschel, und Harka versäumte es nicht, sich bei Schwarzhaut Kraushaar im Zelthintergrund einzufinden. Auf besonderen Wunsch des Gastes wurden nach dem Essen Harka und Kraushaar ans Feuer herangerufen. Weitfliegender Vogel ließ sich von dem Indianerknaben über den Bund der Jungen Hunde, über Spiele und über die Vorstellungen der Kinder von ihrer Welt berichten und freute sich offensichtlich über die verständigen Antworten, die er erhielt. Fremde Muschel konnte noch nicht so gewandt dolmetschen, wie Langspeer das vermochte, aber der Weiße und die Jungen verstanden sich ganz gut. Harka hatte sich auch schon an das blonde Haar und an den Bart des Gastes gewöhnt. Er dachte jetzt, daß weiße Männer so aussehen mußten. Das Geheimnis hatte es offenbar so gewollt.
    Als der Maler genug gefragt hatte, bat er die beiden Jungen, auch ihn zu fragen. Beide hatten die Frage auf dem Herzen, was es mit der schönen Kette auf sich habe, die Langspeer um den Hals trug.
    »Diese Kette – ja – Kinder – die habe ich meinem Freund Langspeer geschenkt, als er mir einmal das Leben rettete. Ich wurde von einigen weißen Banditen verfolgt, und er hat mir diese Räuber und Mörder vom Halse geschafft. Es sind alles echte Edelsteine, die er trägt, und zwei Goldkörner. Hier in eurem Zeltdorf kann ich das ruhig sagen, denn niemand wird meinen Freund berauben, das weiß ich. Aber wenn wir mit weißen Männern zusammenkommen, so pflegen wir zu erzählen, daß die Kette wertlos sei, daß sie nur aus Glasperlen und Messingkugeln bestehe. Dann bleiben wir auch von den Räubern und Dieben unbehelligt. Was möchtet ihr noch wissen?«
    Harka schämte sich, seine nächste Frage vorzubringen, aber Gelbbart half ihm über seine Verlegenheit hinweg, und so erkundigte sich der Junge, warum Langspeer von dem man sagte, daß er ein Häuptling gewesen sei seinen Stamm verlassen habe, um mit Gelbbart durch die Prärien zu reiten. Wer führe denn nun die Männer der Cheyenne zur Jagd, wer schütze die Zelte vor Feinden, und wer leite die Versammlung der Krieger am Beratungsfeuer?
    Es fiel dem weißen Mann nicht leicht, diese Frage zu beantworten, nicht nur deshalb, weil der Wortschatz von Fremde Muschel und Kraushaar in der Dakotasprache sehr begrenzt war. Er mußte

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