Harlekins Mond
Macht der Götter zu beanspruchen und zwischen den Sternen einherzuschreiten, würde ihnen diese Macht zur Verfügung stehen. Und wenn sie niemals kamen, um sie zu holen – nun, dann hatten sie zumindest ihre Chance gehabt.
Selene war noch immer instabil. Das Supraleiterkabel befand sich an seinem vorgesehenen Platz – es lehnte in einer halben Million Kilometern Abstand von Dädalus im Raum. Und solange es aufgespannt blieb – oder solange sie die Möglichkeit besaßen, es zu reparieren oder zu ersetzen – würde Selene nie wieder durch eine gewaltige Eruption von Apollo bedroht werden. Doch Selene wurde immer noch von Erdbeben geschüttelt, und die Ozonschicht würde immer künstlich aufrechterhalten werden müssen.
»Ich hätte zumindest gern den Start mit angesehen«, bemerkte Gabriel.
»Wir werden uns unter Wasser aufhalten, in der Zuflucht«, erklärt Rachel entschieden, »und Harlekin mit seiner gottverdammt riesigen Masse wird zwischen Selene und der John Glenn stehen, wenn sie startet. Ganz ehrlich, Gabriel, wann werdet ihr endlich anfangen, Antimaterie ernst zu nehmen?«
»Diese Debatte hast du bereits gewonnen«, erinnerte er sie. »Neben vielen anderen.«
Rachel schluckte. »Letzte Chance, deine Meinung zu ändern!«, sagte sie.
Er erriet, was sie meinte. »Ich habe diesen Ort erschaffen. Wie könnte ich ihn verlassen? Und wie könnte ich dich verlassen?«
Rachel hatte gewusst, dass seine Antwort so lauten würde, doch trotzdem reagierte irgendwo tief in ihr etwas auf die Liebe zu ihr, die darin mitschwang, und die Liebe zu Selene – die nunmehr ihre gemeinsame Heimat war.
Gabriel fuhr fort. »Außerdem, weißt du, auch wenn so viele Erdgeborene hierbleiben und einige Mondkinder mit fortgehen, ist es doch so, dass der größte Teil des Rates abreist. Einige von uns sollten bleiben. Und um die Lücke zu füllen, die ich hinterlasse, haben sie schon einen ziemlich guten Ersatz für mich gefunden.« Er wirkte einigermaßen gelassen.
Rachel lenkte ihr Pferd neben seines, ergriff seine Hand und drückte sie fest. »Auf der Erde hat man schließlich auch keine Götter gebraucht, oder?«
»Nun, wir haben sie trotzdem erfunden. Aber wir selbst waren keine Götter, und wir wussten das auch. Jedenfalls bis vor etwa 10.000 Jahren. Die Ökosysteme der Erde haben lange für sich selbst gesorgt. Und dann haben wir nach und nach alles übernommen. Als wir von dort weggegangen sind, waren die Ozeane und die Atmosphäre der Erde so künstlich wie Selene. Das habe ich schließlich erkannt. Natürlich müssen wir uns um Selene kümmern, aber na und, was soll’s? Das gilt auch für jedes gewöhnliche Kornfeld.
Und überhaupt sind Götter eine echte Plage«, setzte Gabriel hinzu. »Die meisten von uns gehen fort von hier, und das ist auch gut so.« Er grinste sie an. »Du wirst Ma Liren bestimmt nicht vermissen, oder?«
»Nein. Aber ihre Pflichten würde ich auch nicht haben wollen.«
»Eines Tages«, sagte Gabriel, »wirst du das.«
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