Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
kommen. Ich sollte den Studenten
zeigen, was ich so mache.«
»Und was
genau machen Sie?« Er sah mich mit einer Aufrichtigkeit an, als nehme er jedes
Wort von mir für bare Münze.
»Ich finde
Tote.«
»Sie suchen
Menschen?«
»Nein, ich
finde Leichen. Die Leute rufen mich an, und dann finde ich die Überreste derer,
die heimgegangen sind.« Das ist mein Lieblingseuphemismus. Ich besitze ein
ziemlich eindrucksvolles Repertoire an Euphemismen. »Ist der Fundort der Leiche
bereits bekannt, kann ich die Todesursache feststellen. Und genau das habe ich
auch heute auf dem Friedhof gemacht.«
»Wie hoch
ist Ihre Erfolgsquote?«
Zugegeben,
das kam unerwartet. Ich hätte gedacht, dass er mir ins Gesicht grinsen würde.
»Wenn mir die Verwandten oder die Polizei den ungefähren Fundort nennen können,
finde ich die Leiche«, sagte ich sachlich. »Und wenn ich die Leiche finde,
kenne ich auch die Todesursache. Im Fall von Tabitha Morgenstern ist es mir
nicht gelungen, sie zu finden, als mich die Familie engagierte.
Sie war aus
ihrem Garten entführt worden und wurde wahrscheinlich schnell in irgendein Auto
verfrachtet. Also gab es keine Leiche, die ich aufspüren konnte.«
»Wie
funktioniert das?«
Wieder so
eine Frage, mit der ich nicht gerechnet hatte. »Ich fühle sie, es ist eine Art
Summen in meinem Kopf«, sagte ich. »Je näher ich ihnen komme, desto intensiver
werden das Summen und die Vibration. Wenn ich direkt über ihnen stehe, kann ich
bis zu ihnen vordringen und sagen, wie sie gestorben sind. Ich bin weder
Hellseherin noch Prophetin und auch keine Telepathin. Ich kann nicht sehen, wer
sie umgebracht hat. Und auch die Todesursache sehe ich nur, wenn ich in der
Nähe der Gebeine bin.«
Er hatte
keine so sachliche Antwort erwartet. Er sah mich an und beugte sich vor. Seinen
eigenen Kaffee schien er ganz vergessen zu haben. »Und warum sollte Ihnen das
irgendjemand glauben?«, fragte Lacey erstaunt.
»Weil ich
Ergebnisse vorzuweisen habe.«
»Finden Sie
nicht, dass das ein ziemlich merkwürdiger Zufall ist? Die Morgensterns haben
Sie engagiert, als Sie ihre vermisste Tochter suchten. Und jetzt behaupten Sie
Monate später, sie in einer völlig anderen Stadt gefunden zu haben? Wie,
glauben Sie, werden sich diese armen Leute wohl fühlen, wenn ich das Gebiet
umpflügen lasse und nichts gefunden wird? Sie sollten sich schämen.« Der Detective sah mich mit tiefer Verachtung an.
»Das wird
nicht passieren.« Ich zuckte die Achseln. »Ich schäme mich für gar nichts. Sie
liegt dort.« Ich sah auf meine Uhr. »Ihre Kollegen dürften sie mittlerweile
gefunden haben.«
Detective Laceys Telefon klingelte. Er ging dran. »Ja?«
Während er zuhörte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er wirkte kantiger
und um Jahre gealtert. Als er mich musterte, sah ich in seinen Augen wie so oft
eine Mischung aus Ekel, Angst und ungläubigem Staunen.
»Sie haben
ein paar Gebeine in einem Müllsack gefunden«, sagte er mit gewichtiger Stimme.
»Sie sind zu klein, um von einem Erwachsenen zu stammen.«
Ich bemühte
mich, neutral zu wirken.
»Etwa
dreißig Zentimeter unter dem Müllsack mit den Gebeinen befinden sich
Holzüberreste. Vermutlich von einem Sarg. Also liegen da wahrscheinlich noch
mehr Gebeine.« Er atmete schwer. »Bei den weiter oben gefundenen Gebeinen
wurden keine Spuren eines Sarges gefunden.«
Ich nickte.
Tolliver drückte meine Hand.
»Wenn es das
Morgenstern-Mädchen ist, können wir in wenigen Stunden mit einer vorläufigen
Identifizierung rechnen. Der Zahnstand ist uns aus Nashville gefaxt
worden. Eine gründliche Identifizierung kann natürlich erst vorgenommen werden,
wenn die Leiche obduziert wird. Beziehungsweise das, was noch davon übrig ist.« Detective Lacey stellte seinen persönlichen
Kaffeebecher unnötig heftig auf dem zerkratzten Tisch ab. »Die Polizei von Nashville schickt die Röntgenaufnahmen mit einem Wagen her,
und dieser Wagen sollte in wenigen Stunden da sein. Und vom hiesigen FBI-Büro
kommt auch jemand vorbei, um der Autopsie beizuwohnen. Das FBI stellt uns sein
Labor zur Verfügung, für die Spurensuche und so. Sie bewahren bitte
Stillschweigen über die Sache, bis wir mit der Familie gesprochen haben.«
Ich nickte erneut.
»Gut«, sagte
Tolliver, in erster Linie, um das Schweigen zu brechen.
Corbett
Lacey musterte uns streng. »Wir mussten ihre Eltern verständigen. Aber wenn sie
das nicht ist, möchte ich mir lieber nicht vorstellen, was sie durchmachen müs sen.
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