Harper Connelly 04 - Grabeshauch
seinen Geschmack wider. Aber hätte ihnen das nicht gefallen, hätten sie ihn leicht ändern
können. Der Mann war nämlich schon eine ganze Weile tot.
Lizzie Joyce sah aus wie auf den Fotos, die ich von ihr gesehen hatte. Sie wirkte absolut handfest, wie eine Frau, die ihren
Mann steht. Ihre Schwester Kate, genannt Katie, war eine jüngere Ausgabe von ihr, kleiner und unverbrauchter. Aber genauso
selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Vielleicht wird man automatisch so, wenn man viel Geld im Hintergrund hat.
Die Waffenkammer verfügte über Fenstertüren, die aufeine großzügige Loggia hinausführten. Dort standen Steingefäße, die im Frühling sicher bepflanzt wurden, aber noch war es
nicht so weit. Nachts sank die Temperatur manchmal immer noch unter Null. Ich sah, dass die Joyces ihre Schaukelstühle den
Winter über draußen gelassen hatten. Wie es sich wohl anfühlte, an einem Sommermorgen auf der überdachten Loggia zu sitzen,
Kaffee zu trinken und über die eigenen Ländereien zu schauen?
Der Jeep hielt vor der sanften Steigung, die zur Hintertür führte, zwei Männer stiegen aus und betraten das Haus.
»Harper, das ist der Manager der RJ Ranch, Chip Moseley. Und das ist unser Bruder Drexell.«
Tolliver und ich gaben den Männern die Hand.
Der Manager hatte ein wettergegerbtes Gesicht, grüne, skeptisch dreinblickende Augen und braunes Haar. Auch er wäre am liebsten
gleich wieder verschwunden, genau wie der Bruder. Beide waren nur gekommen, weil Lizzie das wollte. Chip Moseley gab Lizzie
einen flüchtigen Kuss, und ich sah, dass er sowohl ihr Freund als auch ihr Manager war. Das könnte heikel werden.
Der Bruder Drexell war der Jüngste der Joyces und der Unscheinbarste. Lizzie und Katie besaßen beide eine gewisse habichtnasige
Markanz, während Drexells rundes Gesicht nach wie vor sehr kindlich wirkte. Er sah mir nicht in die Augen, genau wie seine
Schwestern.
Ich hatte das dumpfe Gefühl, die beiden Männer schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Da die riesige Ranch der Joyces nicht
allzu weit von Texarkana entfernt lag, wo ich aufgewachsen war, konnte ich Chip und Drexell durchaus schon einmal begegnet
sein. Aber wenn ich etwas auf gar keinen Fall wollte, dann meine Vergangenheit wieder aufleben lassen. Ich war nicht immer
diese mysteriöse Frau gewesen, die Leichen finden kann, weil sie vom Blitz getroffen wurde.
»Ich freue mich sehr, dass Sie kommen konnten«, sagte Lizzie.
»Meine Schwester liebt das Besondere«, behauptete Katie an Tolliver gewandt. Sie hatte eindeutig ein Auge auf ihn geworfen.
»Harper ist unvergleichlich«, erwiderte er und sah mich dabei an. Er schien sich zu amüsieren.
»Nun, ich hoffe, Sie sind Ihr Geld wert«, bemerkte Chip, dessen wettergegerbtes, anziehendes Gesicht etwas Drohendes bekam.
Ich nahm ihn genauer ins Visier. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, mich für den Mann einer anderen zu interessieren.
Aber Chip Moseley hatte durchaus etwas: etwas, das meine besondere Gabe ansprach. Doch er lebte und atmete – normalerweise
ein Ausschlusskriterium.
Ich arbeite nämlich mit Toten.
Seit Lizzie Joyce auf eine Webseite gestoßen war, die über meine Reisen berichtet, hatte sie anscheinend keine ruhige Minute
mehr gehabt, bis ihr ein Job für mich eingefallen war. Sie wollte endlich wissen, was ihren Großvater umgebracht hatte, der
weit entfernt vom Haupthaus leblos neben seinem Jeep gefunden worden war. Rich Joyce hatte eine Schädelverletzung, und man
nahm an, dass er beim Ein- oder Aussteigen gestürzt war. Oder aber sein Jeep war auf einen Felsen gefahren, woraufhin er aus
dem Wagen geschleudert worden war und sich den Kopf an der Karosserie gestoßen hatte. Man hatte jedoch keinerlei Spuren eines
solchen Zusammenstoßes entdecken können. Wie dem auch sei: Der Motor des Jeeps war abgestellt, und Rich Joyce war tot gewesen.
Da weit und breit niemand zu sehen gewesen war, hatte man seinen Tod einem Herzversagen zugeschrieben. Er war schon vor Jahren
beerdigt worden. Da Richs einziger Sohn und dessen Frau mehrere Jahre zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren,
hatten seine drei Enkel alles geerbt, wennauch nicht zu gleichen Teilen. Wie Tolliver herausgefunden hatte, war Lizzie zur Verwalterin des Familienvermögens bestellt
worden. Die anderen beiden Enkel besaßen Anteile, die sich auf etwas weniger als ein Drittel beliefen. Das genügte, um sicherzustellen,
dass Lizzie auch in Zukunft
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