Harrison, Kim - Hollows 7 - Blutkind
vorsichtigen Wort oder zwei ausgelöst hatte; das sich an der Todesenergie sättigen konnte, die von Sterbenden im Moment des Todes freigesetzt wurde.
Aber mit den gemeinschaftlichen Gefühlen, die das Gesetz ihm erlaubte, nur gerade so überleben konnte.
Wie bei den meisten Märchen, lag auch in den Mythen der Bansheetränen ein kleines Stück Wahrheit verborgen. Erschaffen, um als Gefühlsverbindung zu dienen, ermöglichten sie es einer Banshee, sich aus der Ferne sicher zu nähren oder auch einfach nur Gefühle aufzubewahren, um sich später daran zu sättigen. Denn obwohl Banshees Raubtiere waren, die durch Tod gediehen, waren sie doch auch zerbrechlich. Fast wie eine Klapperschlange injizierten sie ihr Gift, um sich dann zurückzuziehen und in Sicherheit zu fressen, während andere kämpften, sich liebten oder sich gegenseitig umbrachten. Psychische Vampire, so wurden sie in den Psychologiebüchern bezeichnet, und das war eine Definition, an der Mia nichts Falsches finden konnte.
Ihr Unterbewusstsein hatte sie aus einem bestimmten Grund auf diese Straße geführt, und während sie die angelaufene Münze befühlte, die an einem ramponierten purpurnen Band um ihren Hals hing, ließ sie ihre Augen an dem Apartmenthaus gegenüber hinaufgleiten, durch die nebligen Regenschwaden, bis ganz hinauf zum obersten Stockwerk. Das Licht war an, 676
golden und undeutlich im nachmittäglichen Regen. Tom war zu Hause. Aber Tom war jetzt immer zu Hause. Er war zu mü-de, um zur Arbeit zu gehen. Ganz anders als damals, als sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte.
Nervös drehte Mia den Ehering an ihrem Finger. Nicht Tom hatte ihn ihr gegeben. Und Tom hatte Mia auch nicht ihre wun-dervolle Tochter geschenkt. Das war Remus gewesen. In ihm hatte genug wilde Wut gebrodelt, um Mia zwei Kinder zu schenken. Aber Remus konnte Holly nicht länger die Gefühle geben, die sie brauchte.
Mia schaute auf das Fenster und zögerte. Sie musste so vorsichtig sein, niemals jemanden dauerhaft zu verletzen. Es gab die alten Wege, um sie zu finden, und neue, schmerzhafte Techniken, um eine Spezies zu bestrafen, die von den Gefühlen anderer lebte. Mia war ein braves Mädchen, und jetzt hatte sie auch noch eine Tochter, an die sie denken musste.
Ich sollte das nicht tun , dachte Mia besorgt. Es ist zu früh .
Jemand könnte sie sehen. Jemand würde sich vielleicht daran erinnern, dass sie hier gewesen war. Aber sie war müde, und der Gedanke daran, wie Tom sie halten würde, sie mit der Stärke seiner Liebe füllen würde, war einfach eine zu große Verlockung. Er liebte sie. Er liebte sie, obwohl er wusste, dass sie der Grund für seine Krankheit war. Er liebte sie, obwohl er wusste, dass sie eine Banshee war und unfähig, ihm nicht seine Gefühle und Stärke auszusaugen. Sie brauchte das Gefühl seiner Arme um sich, nur für einen Moment.
Voller gespannter Erwartung, die ihre Haut zum Kribbeln brachte, stand Mia auf, zog ihre Einkaufstüte auf die Hüfte und setzte sich in Bewegung. Sie machte sich nicht die Mühe, den Regenschirm aufzuspannen, als sie voller aufgesetztem Selbstbewusstsein die Straße überquerte und zielstrebig auf die schlichte Tür zuhielt. Sie schaute weder nach rechts noch nach links und betete, dass niemand sie bemerken würde.
677
Dann schob sie die Glastür auf und glitt in den Flur. Es war nur ein schmaler Gang, in dem die Briefkästen hingen. Sie hob das Kinn und fuhr sich mit einer Hand durch die nassen Haare.
Jetzt, wo sie nicht mehr auf der Straße war und es nicht mehr viele potenzielle Zeugen gab, fühlte sie sich sicherer. Die glatten Fronten der Briefkästen warfen ein verschwommenes Bild zurück, überwiegend Farben: schwarzes Haar, bleiche Haut und ein fast schwarzer Mantel.
Mia ließ ihren Regenschirm in einer Ecke stehen und ging über die Treppen nach oben, um nicht von der Kamera im Lift gefilmt zu werden. Die offene Treppe, die sich mitten im Ge-bäude nach oben schraubte, war nicht überwacht, und jeder, der aus seiner Tür sah, würde nur eine ungewöhnlich kleine Frau mit einer Einkaufstüte sehen, die im Regen nass geworden war.
Aber die Sorge, dass jemand sie wirklich bemerken könnte, keimte wieder auf, und sie beschleunigte ihre Schritte. Und mit jedem Stockwerk, das sie höher stieg, wurde sie stärker.
Um sie herum war der Fluss des Lebens, der unter den Türen hinaus in den Flur glitt wie der Geruch von Gebackenem oder aufdringliches Putzmittel. Es glitt um ihre Füße und sammelte
Weitere Kostenlose Bücher