Harry Bosch 02 - Schwarzes Eis
fallen, steckte jedoch die zwei Fotos in seine Jackentasche. Er ging zum Fenster mit der zerbrochenen Glasscheibe und blickte hinaus auf den Kojote Trail und das Tiefland, das sich bis zur Grenze zog. Keine Polizeiwagen kamen, keine Grenzpatrouillen. Die dicken Mauern des Schlosses hatten Moores Tod in sich bewahrt.
Die Sonne stand hoch am Himmel. Durch die dreieckige Ö ffnung in der zerbrochenen Scheibe sp ü rte er ihre W ä rme.
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Der Schock begann erst abzuklingen, als Bosch die smogverhangene Umgebung von Los Angeles erreichte. Er kehrte in die F ä nge der brutalen Stadt zur ü ck, aber er wu ß te, da ß er hier genesen w ü rde. Auf dem Freeway fuhr er an Downtown vorbei und weiter zum Cahuenga-Pa ß . Der Mittagsverkehr war nur m äß ig. Auf den H ü geln sah er die verbrannten Narben des Weihnachtsfeuers. Selbst dieser Anblick tr ö stete ihn. In der Hitze des Feuers waren die Samenkapseln der Wildblumen aufgesprungen, und der Abhang w ü rde im Fr ü hling eine einzige Farbenorgie sein. Das Dickicht w ü rde nachwachsen, und bald w ü rden die Spuren des Feuers nicht mehr zu erkennen sein.
Es war nach eins und zu sp ä t, um noch zu Moores Totenmesse in der San Fernando Mission zu fahren. Er fuhr daher durch das San Fernando Valley sofort zum Friedhof. Die Beerdigung des im Dienst gefallenen Calexico Moore w ü rde im Eternal Valley in Chatsworth stattfinden – in Anwesenheit des Police Chiefs, des B ü rgermeisters und der Medien. Bosch l ä chelte bei dem Gedanken. Wir versammeln uns, um einem Drogenbo ß die letzte Ehre zu erweisen.
Er erreichte den Friedhof vor der Fahrzeugkolonne; Fotografen und Kameraleute hatten sich jedoch schon auf einem H ü gel am Eingang postiert. M ä nner in schwarzen Anz ü gen, mit wei ß en Hemden, schwarzen Krawatten und Trauerbinden am linken Arm, standen an der Zufahrt und wiesen ihn zu einem Parkplatz. Er blieb noch im Wagen sitzen und band sich vor dem R ü ckspiegel eine Krawatte um. Er sah unrasiert und ü bern ä chtig aus, aber es war ihm egal.
Die Grabstelle war in der N ä he von ein paar Eichen. Eine der Trauerbinden hatte sie ihm gezeigt. Harry ging ü ber den Rasen an den Grabplatten vorbei und lie ß sich sein Haar vom Wind zerzausen. Er fand einen Platz in einiger Entfernung vom gr ü nen Baldachin sowie dem Meer von Blumen am Grab und lehnte sich an einen Baum. W ä hrend er eine Zigarette rauchte, kamen immer mehr Autos. Ein paar waren der Kolonne vorausgeeilt. Doch dann h ö rte er das Ger ä usch herankommender Hubschrauber. Die Hubschrauberstaffel der Polizei, die ü ber dem Leichenwagen flog, sowie die Helikopter der Fernsehgesellschaften, die begannen, den Friedhof wie Schmei ß fliegen zu umkreisen. Die ersten Motorr ä der fuhren durchs Friedhofstor, und Bosch sah, wie sich die Fernsehkameras auf dem H ü gel der Prozession hinten anschlossen. Er sch ä tzte, da ß es circa zweihundert Motorr ä der waren. Wenn man bei Rot ü ber die Ampel fahren oder die Geschwindigkeitsbegrenzung ü berschreiten wollte, sollte man einen Tag w ä hlen, an dem ein Polizist beerdigt wird. Niemand tut dann Dienst.
Der Leichenwagen und eine gro ß e Limousine folgten den Motorr ä dern. Dann kam der Rest der Wagenkolonne durchs Tor. Bald darauf parkten die Leute ihre Autos an allen m ö glichen Stellen und liefen quer ü ber den Friedhof zum offenen Grab. Bosch beobachtete, wie eine der Trauerbinden Sylvia aus der Limousine half. Sie war alleine gekommen. Obwohl sie f ü nfzig Meter weg war, sah Harry, wie sch ö n sie war. Sie trug ein einfaches schwarzes Kleid, dessen Stoff vom Wind an den Leib gedr ü ckt wurde und ihre Figur abzeichnete. Mit der Hand mu ß te sie eine schwarze Haarspange festhalten. Sie trug schwarze Handschuhe und hatte eine schwarze Sonnenbrille auf. Ihre Lippen waren rot von Lippenstift. Er konnte seine Augen nicht von ihr lassen.
Die Trauerbinde f ü hrte sie zu einer Reihe von Klappst ü hlen unter dem Baldachin, der vor dem fachm ä nnisch ausgeschachteten Loch aufgestellt war. Beim Gehen drehte sie ihren Kopf leicht. Bosch glaubte, da ß sie ihn ansah, war sich jedoch nicht sicher, weil die Brille ihre Augen verdeckte und in ihrem Gesicht nichts zu erkennen war. Nachdem sie Platz genommen hatte, kamen Rickard und der Rest von Moores Team mit dem silbergrauen Stahlsarg auf den Schultern.
» Du bist also zur ü ck «, sagte eine Stimme hinter ihm.
Bosch wandte sich um und sah Teresa Coraz ó n auf ihn zukommen.
» Ja, gerade
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