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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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würden.
    Ferras hatte neun Monate Physiotherapie und Reha durchlaufen, bevor er sich zum Dienst zurückgemeldet hatte. Allerdings war er in dem Jahr, das seitdem vergangen war, seinen Aufgaben als Ermittler mit einem Widerstreben nachgekommen, für das Bosch zusehends weniger Verständnis aufbrachte. Er war nicht engagiert, und Bosch war es leid, auf ihn zu warten.
    Er war es auch leid, auf ein neues Mordopfer zu warten. Es war vier Wochen her, dass sie den letzten Fall an Land gezogen hatten, und die spätsommerliche Hitzephase war schon ziemlich weit fortgeschritten. Bosch wusste: So sicher, wie die Santa-Ana-Winde die Bergpässe heruntergeweht kämen, käme auch ein neues Mordopfer.
    Ferras stand auf und schloss seinen Schreibtisch ab. Gerade als er sein Sakko von der Stuhllehne nahm, sah Bosch Larry Gandle von seinem Büro am anderen Ende des Bereitschaftsraums auf sie zukommen. Als der Ranghöhere der beiden Partner hatte sich Bosch sein Abteil als Erster aussuchen dürfen, als die Robbery-Homicide Division einen Monat zuvor aus dem maroden Parker Center in das neue Police Administration Building umgezogen war. Die meisten 3er Detectives hatten Abteile genommen, von denen man auf die Fenster mit Blick auf die City Hall sehen konnte. Bosch hatte sich für das Gegenteil entschieden. Er hatte seinem Partner die Aussicht überlassen und das Abteil gewählt, von dem aus er mitbekam, was sich im Bereitschaftsraum tat. Jetzt sah er den Lieutenant auf sie zukommen, und ihm war sofort klar, dass sein Partner diesmal nicht früh nach Hause ginge.
    Gandle hatte einen von einem Notizblock gerissenen Zettel in der Hand und etwas Federndes in seinem Schritt. Das verriet Bosch, dass das Warten ein Ende hatte. Ein Einsatz stand an. Ein neues Mordopfer. Bosch stemmte sich aus seinem Stuhl hoch.
    »Bosch und Ferras, Sie sind dran«, sagte Gandle, als er sie erreichte. »Sie müssen mir fürs South Bureau einen Fall übernehmen.«
    Bosch sah die Schultern seines Partners nach unten sacken. Ohne sich darum zu kümmern, griff er nach dem Zettel, den Gandle ihm entgegenhielt. Er schaute auf die Adresse, die darauf stand. South Normandie. Dort war er schon mal gewesen.
    »Ein Getränkemarkt«, sagte Gandle. »Hinter dem Ladentisch liegt ein Mann, die Streife hält einen Zeugen fest. Das ist alles, was ich habe. Können Sie das übernehmen?«
    »Können wir«, erwiderte Bosch, bevor sein Partner protestieren konnte.
    Aber es nützte nichts.
    »Lieutenant, wir sind hier bei Homicide Special.« Ferras drehte sich um und deutete auf den Keilerkopf über der Tür des Bereitschaftsraums. »Wieso sollen wir einen Überfall auf einen Liquor Store übernehmen? Sie wissen genau, das können nur irgendwelche Ghetto-Kids gewesen sein, und so etwas haben die Jungs vom South Bureau noch vor Mitternacht unter Dach und Fach – oder zumindest wissen sie bis dahin den Namen des Täters.«
    Damit hatte Ferras nicht ganz unrecht. Homicide Special war für die schwierigen und komplizierten Fälle zuständig. Es war eine Eliteeinheit, die sich mit dem unnachsichtigen Riecher eines Ebers, der im Dreck nach Trüffeln wühlte, die schwierigen Fälle vornahm. Ein Überfall auf einen Getränkemarkt im tiefsten Ghetto fiel da kaum darunter.
    In einer Geste, die keinerlei Verständnis signalisierte, breitete Gandle, mit seiner Glatze und dem Dauerflunsch der Inbegriff des Schreibtischhengstes, die Hände aus.
    »Ich habe doch bei der Besprechung letzte Woche allen gesagt: Wir müssen South diese Woche aushelfen. Sie haben zurzeit nur ein Rumpfteam zur Verfügung, weil alle anderen bis zum Vierzehnten auf Mordlehrgang sind. Drei Fälle haben sie übers Wochenende reinbekommen und einen heute Morgen. Damit ist das Rumpfteam ausgelastet. Deshalb sind jetzt Sie beide dran, und der Überfall gehört Ihnen. So einfach ist das. Noch Fragen? Die Streife wartet mit einem Zeugen.«
    »Wir können los, Boss«, sagte Bosch, um die Diskussion zu beenden.
    »Und Sie halten mich auf dem Laufenden, ja?«
    Damit kehrte Gandle in sein Büro zurück. Bosch nahm sein Sakko von der Stuhllehne, schlüpfte hinein und öffnete die mittlere Schublade seines Schreibtisches. Dann zog er die lederne Notizblockhülle aus seiner Gesäßtasche und ersetzte den linierten Block darin durch einen neuen. Ein neuer Mord bekam immer einen neuen Block. Das war sein Ritual. Er sah kurz auf die Detective-Dienstmarke, die in die lederne Hülle geprägt war, und steckte sie in die Gesäßtasche

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