Harry Potter - Gesamtausgabe
herüberblickte, und das mit hochgezogenen Augenbrauen durch eine massive Wand entschwebte.
Harry rannte ihr nach. Sobald er durch die Tür des Korridors getreten war, in dem sie verschwunden war, sah er sie ganz am Ende des Ganges, immer noch zügig vor ihm davongleitend.
»Hey – warten Sie – kommen Sie zurück!«
Sie ließ sich dazu herbei, einige Zentimeter über dem Boden schwebend innezuhalten. Harry nahm an, dass sie schön war, mit ihrem hüftlangen Haar und ihrem Umhang, der ihr bis zu den Füßen reichte, doch sie wirkte auch hochmütig und stolz. Aus der Nähe betrachtet, erkannte er in ihr ein Gespenst, das ihm in den Korridoren mehrmals begegnet war, mit dem er aber nie gesprochen hatte.
»Sind Sie die graue Dame?«
Sie nickte, sagte aber nichts.
»Das Gespenst vom Ravenclaw-Turm?«
»Das ist richtig.«
Ihr Ton war nicht ermutigend.
»Bitte, ich brauche Hilfe. Ich muss alles wissen, was Sie mir über das verschollene Diadem sagen können.«
Ein kühles Lächeln kräuselte ihre Lippen.
»Ich fürchte«, sagte sie und wandte sich ab, um zu entschwinden, »da kann ich Ihnen nicht helfen.«
» WARTEN SIE !«
Er hatte nicht schreien wollen, aber Wut und Panik drohten ihn zu überwältigen. Er blickte auf seine Uhr, während das Gespenst vor ihm schwebte: Noch eine Viertelstunde bis Mitternacht.
»Es ist dringend«, sagte er heftig. »Wenn dieses Diadem in Hogwarts ist, muss ich es finden, und zwar schnell.«
»Sie sind keineswegs der erste Schüler, der das Diadem begehrt«, sagte sie verächtlich. »Generationen von Schülern haben mir zugesetzt –«
»Es geht hier nicht darum, bessere Noten zu kriegen!«, schrie Harry sie an. »Es geht um Voldemort – darum, ihn zu besiegen – oder ist Ihnen das gleichgültig?«
Sie konnte nicht erröten, doch ihre durchsichtigen Wangen verdunkelten sich, und als sie antwortete, klang ihre Stimme erregt: »Natürlich, ich – wie können Sie es wagen, eine solche Unterstellung zu –?«
»Nun, dann helfen Sie mir doch!«
Sie verlor allmählich die Fassung.
»Es – es ist nicht wegen –«, stammelte sie. »Das Diadem meiner Mutter –«
»Ihrer Mutter?«
Sie schien sich über sich selbst zu ärgern.
»In meinem Leben«, sagte sie steif, »war ich Helena Ravenclaw.«
»Sie sind ihre Tochter? Aber dann müssen Sie wissen, was damit passiert ist!«
»Das Diadem verleiht zwar Weisheit«, sagte sie, sichtlich bemüht, sich zusammenzureißen, »doch ich bezweifle, dass es Ihre Chancen großartig steigern würde, den Zauberer zu besiegen, der sich Lord –«
»Ich habe Ihnen doch eben gesagt, dass ich es gar nicht tragen will!«, entgegnete Harry erbost. »Ich habe keine Zeit, es zu erklären – aber wenn Ihnen Hogwarts am Herzen liegt, wenn Sie Voldemort besiegt sehen wollen, müssen Sie mir alles über das Diadem erzählen, was Sie wissen!«
Sie schwebte völlig reglos in der Luft und starrte auf ihn herab, und ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit überkam ihn. Wenn sie etwas gewusst hätte, dann hätte sie es natürlich Flitwick oder Dumbledore mitgeteilt, die ihr sicher die gleiche Frage gestellt hatten. Kopfschüttelnd wollte er sich gerade abwenden, als sie mit leiser Stimme zu sprechen begann.
»Ich habe das Diadem meiner Mutter gestohlen.«
»Sie – Sie haben was?«
»Ich habe das Diadem gestohlen«, wiederholte Helena Ravenclaw flüsternd. »Ich wollte mich klüger machen, wichtiger als meine Mutter. Ich bin damit ausgerissen.«
Er wusste nicht, wie er es geschafft hatte, ihr Vertrauen zu gewinnen, und er fragte auch nicht nach. Er hörte ihr einfach genau zu, als sie fortfuhr: »Meine Mutter, so heißt es, gab nie zu, dass das Diadem verschwunden war, sondern tat so, als besäße sie es noch. Sie verschleierte den Verlust, meinen schrecklichen Verrat, selbst gegenüber den anderen Gründern von Hogwarts.
Dann wurde meine Mutter krank – sterbenskrank. Trotz meiner Treulosigkeit wollte sie mich unter allen Umständen noch einmal sehen. Sie schickte einen Mann aus, mich zu suchen, der mich lange geliebt, dessen Werben ich jedoch zurückgewiesen hatte. Sie wusste, er würde nicht ruhen, bis er mich gefunden hätte.«
Harry wartete. Sie holte tief Luft und warf ihren Kopf zurück.
»Er folgte meiner Spur bis zu dem Wald, in dem ich mich versteckt hielt. Als ich mich weigerte, mit ihm zurückzukehren, wandte er Gewalt an. Der Baron war schon immer ein jähzorniger Mann. Wütend, weil ich mich weigerte, neidisch auf meine Freiheit,
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