Harry Potter - Gesamtausgabe
erstach er mich.«
»Der Baron? Sie meinen –?«
»Den Blutigen Baron, ja«, sagte die graue Dame, hob ihren Umhang zur Seite und offenbarte eine einzelne dunkle Wunde auf ihrer weißen Brust. »Als er sah, was er getan hatte, ergriff ihn Reue. Er verwendete die Waffe, die mir das Leben genommen hatte, um sich selbst zu töten. Nach all diesen Jahrhunderten trägt er seine Ketten immer noch, um Buße zu tun … und das zu Recht«, fügte sie bitter hinzu.
»Und … und das Diadem?«
»Es blieb dort, wo ich es versteckt hatte, als ich hörte, dass der Baron durch den Wald auf mich zustolperte. In einem hohlen Baum verborgen.«
»Einem hohlen Baum?«, wiederholte Harry. »Was für einem Baum? Wo war das?«
»In einem Wald in Albanien. An einem entlegenen Ort, weit außerhalb der Reichweite meiner Mutter, wie ich glaubte.«
»Albanien«, wiederholte Harry. Wie durch ein Wunder schälte sich aus dem Durcheinander etwas heraus, das Sinn ergab, und nun begriff er, warum sie ihm erzählte, was sie Dumbledore und Flitwick vorenthalten hatte. »Sie haben diese Geschichte schon mal jemandem erzählt, oder? Einem anderen Schüler?«
Sie schloss die Augen und nickte.
»Ich hatte … keine Ahnung … er hat mir … geschmeichelt. Er schien … zu verstehen … mitzufühlen …«
Ja, dachte Harry, Tom Riddle hatte Helena Ravenclaws Verlangen nach sagenhaften Gegenständen, auf die sie wenig Anrecht hatte, gewiss verstanden.
»Nun, Sie waren nicht die Erste, der Riddle etwas abgeluchst hat«, murmelte Harry. »Er konnte charmant sein, wenn er wollte …«
Also hatte es Voldemort geschafft, der grauen Dame zu entlocken, wo sich das verschollene Diadem befand. Er war zu diesem weit entfernten Wald gereist und hatte es aus seinem Versteck geholt, vielleicht gleich nachdem er Hogwarts verlassen, noch ehe er seine Arbeit bei Borgin und Burkes aufgenommen hatte. Und waren Voldemort jene abgelegenen albanischen Wälder nicht wie eine hervorragende Zuflucht erschienen, als er sehr viel später einen Platz brauchte, wo er sich zehn lange Jahre ungestört versteckt halten konnte?
Aber sobald das Diadem einmal zu seinem wertvollen Horkrux geworden war, blieb es nicht in diesem schlichten Baum … nein, das Diadem wurde heimlich in sein wahres Zuhause zurückgebracht, Voldemort musste es dort hinterlegt haben –
»– an dem Abend, als er eine Stelle verlangte!«, sagte Harry und beendete damit seinen Gedankengang.
»Verzeihung bitte?«
»Er versteckte das Diadem im Schloss, an dem Abend, an dem er Dumbledore bat, ihn an der Schule unterrichten zu lassen!«, sagte Harry. Erst indem er es laut aussprach, konnte er sich einen Reim auf all das machen. »Er muss das Diadem auf dem Weg hinauf zu Dumbledores Büro versteckt haben, oder als er wieder hinunterging! Aber es war immerhin einen Versuch wert, diese Stelle zu bekommen – denn dann hätte er vielleicht die Gelegenheit gehabt, auch noch Gryffindors Schwert zu klauen – danke, vielen Dank!«
Harry ließ sie schwebend dort zurück, mit vollkommen verdutzter Miene. Als er wieder in Richtung Eingangshalle um die Ecke bog, sah er auf seine Uhr. Es war fünf Minuten vor Mitternacht, und obwohl er jetzt wusste, was der letzte Horkrux war, hatte er immer noch nicht herausgefunden, wo er steckte …
Generationen von Schülern war es nicht gelungen, das Diadem zu finden; das ließ vermuten, dass es nicht im Ravenclaw-Turm war – aber wenn nicht dort, wo dann? Welches Versteck hatte Tom Riddle im Schloss Hogwarts ausfindig gemacht, von dem er glaubte, es würde für immer ein Geheimnis bleiben?
Tief versunken in verzweifelte Spekulationen, bog Harry um eine Ecke, doch er war nur wenige Schritte den neuen Korridor entlanggegangen, als links von ihm mit einem ohrenbetäubenden, enormen Krach ein Fenster zerbarst. Er sprang zur Seite, und ein riesiger Körper flog durch das Fenster und schlug an die gegenüberliegende Wand. Etwas Großes und Pelziges löste sich jaulend von dem Neuankömmling und stürzte sich auf Harry.
»Hagrid!«, brüllte Harry, während er die Zudringlichkeiten von Fang, dem Saurüden, abwehrte, und die gewaltige bärtige Gestalt rappelte sich auf. »Was zum –?«
»Harry, du hier? Du hier!«
Hagrid bückte sich und bedachte Harry mit einer flüchtigen Umarmung, die ihm fast die Rippen brach, dann ging er eilends zurück zu dem zerschmetterten Fenster.
»Braver Junge, Grawpy!«, brüllte er durch das Loch in der Scheibe. »Wir sehn uns gleich, sei schön
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