Harry Potter - Gesamtausgabe
unmäßig. »Du meine Güte, wirklich?«
»Nun ja, wo glauben Sie denn, dass wir sind?«, fragte Harry ein wenig trotzig.
»Mein lieber Junge, ich habe keine Ahnung. Das ist, wie man so sagt, dein Bier.«
Harry hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte; Dumbledore machte ihn wütend. Er sah ihn finster an, dann fiel ihm eine viel dringendere Frage ein als die nach ihrem jetzigen Aufenthaltsort.
»Die Heiligtümer des Todes«, sagte er, und er war froh, dass diese Worte das Lächeln von Dumbledores Gesicht wischten.
»Ah, ja«, sagte er. Er blickte sogar ein wenig beunruhigt drein.
»Nun?«
Zum ersten Mal seit Harry Dumbledore kennen gelernt hatte, sah er nicht mehr aus wie ein alter Mann, sondern viel jünger. Er wirkte für einen Moment wie ein kleiner Junge, der bei einem bösen Streich ertappt worden war.
»Kannst du mir verzeihen?«, fragte er. »Kannst du mir verzeihen, dass ich dir nicht vertraut habe? Dass ich es dir nicht gesagt habe? Harry, ich hatte nur die Befürchtung, dass du scheitern würdest, wie ich gescheitert war. Ich hatte nur die große Angst, dass du meine Fehler wiederholen würdest. Ich bitte dich inständig um Verzeihung, Harry. Ich weiß nun seit einiger Zeit, dass du der bessere Mann bist.«
»Wovon reden Sie denn da?«, fragte Harry, bestürzt über Dumbledores Ton, über die plötzlichen Tränen in seinen Augen.
»Von den Heiligtümern, den Heiligtümern«, murmelte Dumbledore. »Dem Traum eines verzweifelten Mannes.«
»Aber es gibt sie wirklich!«
»Sie sind wirklich, und gefährlich, und eine Verlockung für Narren«, sagte Dumbledore. »Und ich war ein solcher Narr. Aber du weißt es, nicht wahr? Ich habe keine Geheimnisse mehr vor dir. Du weißt es.«
»Was weiß ich?«
Dumbledore wandte sich nun mit dem ganzen Körper zu Harry um und noch immer funkelten Tränen in seinen leuchtend blauen Augen.
»Gebieter des Todes, Harry, Gebieter des Todes! War ich, letzten Endes, besser als Voldemort?«
»Natürlich waren Sie das«, sagte Harry. »Natürlich – wie können Sie das fragen? Sie haben nie getötet, wenn Sie es vermeiden konnten!«
»Gewiss, gewiss«, sagte Dumbledore, und er war wie ein Kind, das beruhigt werden will. »Doch auch ich suchte nach einem Weg, den Tod zu besiegen, Harry.«
»Nicht nach dem gleichen Weg wie er«, sagte Harry. Wie seltsam war es, nach all seinem Zorn auf Dumbledore hier zu sitzen, unter dem hohen Kuppeldach, und ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen. »Heiligtümer, keine Horkruxe.«
»Heiligtümer«, murmelte Dumbledore, »keine Horkruxe. Genau.«
Es entstand eine Pause. Das Geschöpf hinter ihnen wimmerte, aber Harry blickte sich nicht mehr um.
»Grindelwald hat auch nach ihnen gesucht?«, fragte er.
Dumbledore schloss für einen Moment die Augen und nickte.
»Das war es, was uns vor allem zusammenbrachte«, sagte er leise. »Zwei kluge, arrogante Jungen mit einer gemeinsamen Leidenschaft. Er kam wegen Ignotus Peverells Grab nach Godric’s Hollow, wie du sicher schon vermutet hast. Er wollte den Ort erkunden, wo der dritte Bruder gestorben war.«
»Also ist es wahr?«, fragte Harry. »Alles? Die Brüder Peverell –«
»– waren die drei Brüder aus dem Märchen«, sagte Dumbledore nickend. »O ja, ich denke schon. Ob sie dem Tod auf einer einsamen Straße begegnet sind … ich halte es für wahrscheinlicher, dass die Brüder Peverell einfach begabte, gefährliche Zauberer waren, denen es gelang, diese mächtigen Gegenstände herzustellen. Die Geschichte, wonach es Heiligtümer waren, die dem Tod gehörten, scheint mir eine von jenen Legenden zu sein, wie sie um solche Schöpfungen herum zu entstehen pflegen.
Der Tarnumhang wurde, wie du jetzt weißt, durch die Jahrhunderte weitergegeben, von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter, bis hin zu Ignotus’ letztem lebendem Nachfahren, der, wie Ignotus selbst, in dem Dorf Godric’s Hollow geboren wurde.«
Dumbledore lächelte Harry an.
»Bis zu mir?«
»Bis zu dir. Du hast, wie ich weiß, schon erraten, warum der Tarnumhang in der Nacht, als deine Eltern starben, in meinen Händen war. James hatte ihn mir nur wenige Tage zuvor gezeigt. Das erklärte, warum ihm so viele Missetaten in der Schule nicht nachzuweisen waren! Ich konnte kaum glauben, was ich da sah. Ich bat darum, mir den Tarnumhang ausleihen zu dürfen, um ihn zu untersuchen. Schon seit langem hatte ich meinen Traum aufgegeben, die Heiligtümer zu vereinen, aber ich konnte nicht widerstehen, musste ihn einfach
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