Harry Potter und der Feuerkelch
sie ihn trotz allem beruhigen. Dann breitete sie ihre Flügel aus und flatterte in den Sonnenaufgang hinein. Harry sah ihr mit dem schon vertrauten flauen Gefühl im Magen nach, bis sie verschwunden war. Er war sich so sicher gewesen, dass Sirius’ Antwort seine Sorgen lindern und nicht noch steigern würde.
»Das war eine Lüge, Harry«, sagte Hermine in scharfem Ton beim Frühstück, als er ihr und Ron von seinem Brief erzählt hatte. »Du hast dir nicht bloß eingebildet, dass deine Narbe wehtat, das weißt du genau.«
»Na und?«, sagte Harry. »Meinetwegen soll er jedenfalls nicht wieder in Askaban landen.«
»Lass stecken«, fuhr Ron Hermine an, als sie den Mund öffnete, um noch ein wenig weiterzustreiten; und ausnahmsweise folgte ihm Hermine und verstummte.
Während der nächsten Wochen mühte sich Harry nach Kräften, sich keine Sorgen über Sirius zu machen. Gewiss, er konnte es einfach nicht lassen, mit bangem Gefühl aufzusehen, wenn am Morgen die Posteulen ankamen, noch konnte er verhindern, dass spät am Abend, bevor er einschlief, grauenhafte Bilder an seinem inneren Auge vorbeizogen, Bilder von Sirius, wie er in irgendeiner dunklen Londoner Straße von Dementoren in die Enge getrieben wurde. Doch ansonsten gab er sich Mühe, nicht an seinen Paten zu denken. Könnte er doch nur Quidditch spielen, um sich abzulenken; nichts hätte seinem aufgewühlten Gemüt so gutgetan wie eine harte, fetzige Trainingsstunde. Andererseits war der Unterricht jetzt so anspruchsvoll und schwierig wie nie zuvor, besonders in Verteidigung gegen die dunklen Künste.
Zu ihrer Überraschung hatte Professor Moody angekündigt, dass er jeden Einzelnen von ihnen mit dem Imperius-Fluch belegen würde, um dessen Macht zu zeigen und zu prüfen, ob sie sich gegen seine Wirkungen zur Wehr setzen konnten.
»Aber, Sie sagten doch, er sei verboten, Professor«, sagte Hermine verunsichert, als Moody mit einem Schwung seines Zauberstabs die Tische fortrücken ließ und sich einen großen freien Platz in der Mitte des Raumes verschaffte. »Sie sagten – ihn gegen einen anderen Menschen einzusetzen, sei –«
»Dumbledore will, dass ich euch beibringe, wie es sich anfühlt«, sagte Moody, und sein magisches Auge schwamm zu Hermine hin und fixierte sie mit schaurigem Blick, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. »Wenn du es lieber auf die harte Tour lernen willst – wenn dich jemand damit überrascht und dich vollkommen unterwirft –, mir soll es recht sein. Du bist entschuldigt. Da geht’s raus.«
Er wies mit seinem knochigen Finger zur Tür. Hermine lief rosa an und murmelte etwas von wegen, das hätte sie so nicht gemeint. Harry und Ron grinsten sich zu. Sie wussten, dass Hermine lieber Bubotubler-Eiter schlürfen würde, als eine so wichtige Unterrichtsstunde zu verpassen.
Moody ließ sie der Reihe nach vortreten und belegte sie mit dem Imperius-Fluch. Harry beobachtete, wie seine Mitschüler unter Moodys Einfluss die erstaunlichsten Dinge vollführten. Dean Thomas hüpfte dreimal im Kreis durchs Zimmer und sang dabei die Nationalhymne. Lavender Brown ahmte ein Eichhörnchen nach. Neville zeigte eine Reihe ganz verblüffender Gymnastikübungen, bei denen er ansonsten sicher zusammengeklappt wäre. Nicht einer von ihnen schien fähig zu sein, den Fluch abzuwehren, und alle erholten sich erst, als Moody ihn wieder aufhob.
»Potter«, knurrte Moody, »du bist dran.«
Harry trat vor in die Mitte des Klassenzimmers, wo Moody Platz geschaffen hatte. Moody hob den Zauberstab, richtete ihn auf Harry und sagte: »Imperio.« Es war ein höchst wundersames Gefühl. Harry glaubte zu schweben, jeder Gedanke, alle Sorgen, die ihn umtrieben, waren wie von sanfter Hand weggewischt, und zurück blieb nur ein vages, unergründliches Glücksgefühl. Da stand er, unendlich entspannt, nur leise ahnend, dass alle ihn ansahen. Und dann hörte er Mad-Eye Moodys Stimme in einer fernen Kammer seines leeren Kopfes widerhallen: »Spring auf den Tisch … spring auf den Tisch …« Harry ging folgsam in die Knie und setzte zum Sprung an.
»Spring auf den Tisch …«
Warum eigentlich?
Eine andere Stimme, weit hinten in seinem Kopf, war erwacht. »Wär doch ziemlich bescheuert, das zu tun«, sagte die Stimme.
»Spring auf den Tisch …«
»Nein, das werd ich lieber nicht tun, danke«, sagte die andere Stimme, ein wenig fester … »Nein, ich will nicht wirklich …«
»Spring! Sofort.«
Was Harry als Nächstes spürte, war ein heftiger Schmerz. Er
Weitere Kostenlose Bücher