Harry Potter und der Gefangene von Askaban
durchaus, was Hagrid meinte. Wenn man einmal den ersten Schreck angesichts einer Kreatur überwunden hatte, die halb Pferd, halb Vogel war, lernte man den Anblick der Hippogreife zu schätzen, deren schimmerndes Gefieder allmählich in Fell überging. Sie waren alle von ganz unterschiedlicher Farbe: sturmgrau, bronze, rostrot, schimmernd kastanienbraun und tintenschwarz.
Hagrid rieb sich die Hände und strahlte in die Runde. »So«, sagte er, »wollt ihr nicht ein wenig näher kommen?«
Keiner schien sich darum zu reißen. Harry, Ron und Hermine jedoch näherten sich vorsichtig dem Zaun.
»Nun, als Erstes müsst ihr wissen, dass Hippogreife stolz sind«, sagte Hagrid. »Sind leicht beleidigt, diese Hippogreife. Beleidigt nie keinen, denn das könnte eure letzte Tat gewesen sein.«
Malfoy, Crabbe und Goyle hörten nicht zu; sie unterhielten sich gedämpft und Harry hatte das unangenehme Gefühl, dass sie ausheckten, wie sie den Unterricht am besten stören konnten.
»Ihr müsst immer abwarten, bis der Hippogreif den ersten Schritt macht«, fuhr Hagrid fort. »Das ist höflich, versteht ihr? Ihr geht auf ihn zu und verbeugt euch und wartet. Wenn er sich auch verbeugt, dürft ihr ihn berühren. Wenn er’s nicht tut, dann macht euch schleunigst davon, denn diese Krallen tun weh.
Also, wer will als Erster?«
Die meisten wichen noch weiter zurück. Auch Harry, Ron und Hermine war nicht wohl zumute. Die Hippogreife warfen ihre grimmigen Köpfe in die Luft und spannten ihre mächtigen Flügel; offenbar konnten sie es nicht leiden, angebunden zu sein.
»Keiner?«, sagte Hagrid mit flehendem Blick.
»Ich mach’s«, sagte Harry.
Hinter sich hörte er ein lautes Aufatmen, und Lavender und Parvati flüsterten: »Ooooo nein, Harry, denk an deine Teeblätter!«
Harry achtete nicht auf sie. Er kletterte über den Zaun der Koppel.
»Mutiger Junge, Harry!«, polterte Hagrid. »Gut, schauen wir mal, wie du mit Seidenschnabel zurechtkommst.«
Er löste eine der Ketten, zog den grauen Hippogreif von seinen Artgenossen fort und befreite ihn von seinem Lederkragen. Die Klasse auf der anderen Seite des Zauns schien den Atem anzuhalten. Malfoys Augen waren gehässig verengt.
»Ruhig jetzt, Harry«, sagte Hagrid leise. »Du blickst ihm in die Augen, und versuch jetzt, nicht zu blinzeln … Hippogreife trauen dir nicht, wenn du zu viel blinzelst …«
Sofort wurden Harrys Augen feucht, doch er hielt sie offen. Seidenschnabel hatte seinen großen, scharf geschnittenen Kopf zur Seite geneigt und starrte Harry mit einem grimmigen orangefarbenen Auge an.
»Sehr gut, Harry«, sagte Hagrid. »Sehr gut, Harry … und jetzt verbeug dich …«
Harry hatte keine große Lust, Seidenschnabel seinen Nacken preiszugeben, doch er tat wie ihm geheißen. Er verneigte sich kurz und sah dann auf.
Der Hippogreif starrte ihn immer noch herablassend an. Er rührte sich nicht.
»Ah«, sagte Hagrid beunruhigt. »Na gut, zieh dich zurück, Harry, und ganz vorsichtig –«
Doch zu Harrys gewaltiger Überraschung knickte der Hippogreif plötzlich seine geschuppten Vorderknie ein und neigte unmissverständlich den Kopf.
»Gut gemacht, Harry!«, sagte Hagrid ganz begeistert, »schön, du kannst ihn anfassen! Tätschel seinen Schnabel, nur zu!«
Harry hätte sich zur Belohnung lieber das Ende der Vorstellung gewünscht, doch er ging langsam auf den Hippogreif zu und streckte die Hand nach ihm aus. Er tätschelte ein wenig den Schnabel und der Hippogreif schloss entspannt die Augen, als würde es ihm gefallen.
Die ganze Klasse, außer Malfoy, Crabbe und Goyle, die äußerst missvergnügt wirkten, brach in stürmischen Beifall aus.
»Jetzt weiter, Harry«, sagte Hagrid, »ich schätze, er lässt dich reiten!«
Damit allerdings hatte Harry nicht gerechnet. Er konnte auf einem Besen durch die Lüfte fliegen; doch er war sich nicht sicher, ob ein Hippogreif nicht etwas ganz anderes war.
»Steig auf, gleich hinter den Flügelansatz«, sagte Hagrid, »und pass auf, dass du keine Federn rausziehst, das mag er gar nicht …«
Harry setzte den Fuß auf den Flügel des Hippogreifs und schwang sich auf seinen Rücken. Seidenschnabel erhob sich. Harry wusste nicht recht, wo er sich festhalten sollte; alles vor ihm war voller Federn.
»Dann mal los!«, polterte Hagrid und klatschte dem Hippogreif auf den Hintern.
Ohne Vorwarnung spannte das Geschöpf seine vier Meter langen Flügel zu beiden Seiten von Harry aus; der hatte gerade noch Zeit, die Arme um
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