Harry Potter und der Gefangene von Askaban
Lupin. »Viel schlimmer als das. Du kannst ohne deine Seele existieren, weißt du, solange dein Gehirn und dein Herz noch arbeiten. Aber du wirst kein Selbstgefühl mehr haben, keine Erinnerungen, kein … nichts. Es gibt keine Chance, sich davon zu erholen. Du fristest nur dein elendes Dasein. Als leere Hülle. Und deine Seele hast du verloren … für immer.«
Lupin nahm einen Schluck Butterbier, dann fuhr er fort:
»Das ist das Schicksal, das Sirius Black erwartet. Es stand heute Morgen im Tagespropheten . Das Ministerium hat den Dementoren die Erlaubnis erteilt, dieses Urteil an ihm zu vollstrecken, sollten sie ihn finden.«
Harry war einen Augenblick lang stumm, bedrückt von der Vorstellung, jemandem würde die Seele durch den Mund ausgesogen. Doch dann dachte er an Black.
»Er verdient es«, sagte er unvermittelt.
»Glaubst du?«, antwortete Lupin mit tonloser Stimme. »Glaubst du wirklich, irgendjemand verdient das?«
»Ja«, sagte Harry widerspenstig. »Für … für bestimmte Taten …«
Am liebsten hätte er Lupin von dem Gespräch erzählt, das er in den Drei Besen belauscht hatte, über Black, der seine Eltern verraten hatte, doch dann hätte er zugeben müssen, dass er ohne Erlaubnis nach Hogsmeade gegangen war, und er wusste, dass Lupin nicht sonderlich davon angetan sein würde. Also trank er sein Butterbier aus, bedankte sich bei Lupin und verließ das Klassenzimmer.
Fast bereute er, gefragt zu haben, was unter der Kapuze eines Dementors steckte. Die Antwort war so entsetzlich gewesen und er war so in die unangenehme Vorstellung versunken, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn einem die Seele ausgesogen wird, dass er auf halbem Weg die Treppe hoch beinahe mit Professor McGonagall zusammengestoßen wäre.
»Machen Sie die Augen auf, Potter!«
»Verzeihung, Professor –«
»Ich war gerade oben, um Sie zu suchen. Nun, hier ist er: Wir haben alles Erdenkliche unternommen und er scheint völlig in Ordnung zu sein – Sie müssen irgendwo einen sehr guten Freund haben, Potter –«
Harry klappte der Mund auf. Sie hielt ihm seinen Feuerblitz entgegen und er sah so herrlich aus wie zuvor.
»Kann ich ihn zurückhaben?«, sagte Harry mit matter Stimme. »Im Ernst?«
»Im Ernst«, sagte Professor McGonagall und lächelte noch dazu. »Ich würde sagen, Sie sollten vor dem Spiel am Samstag noch ein wenig Gespür für ihn bekommen. Und, Potter – Sie werden doch gewinnen, nicht wahr? Sonst sind wir das achte Jahr in Folge ohne Pokalsieg, wie Professor Snape mir erst gestern Abend freundlicherweise in Erinnerung rief …«
Sprachlos trug Harry den Feuerblitz nach oben in den Gryffindor-Turm. Als er um eine Ecke bog, sah er den von Ohr zu Ohr grinsenden Ron auf sich zurennen.
»Sie hat ihn dir gegeben? Klasse! Hör mal, kann ich ihn mal ausprobieren? Morgen?«
»Jaah … natürlich …«, sagte Harry. Seit einem Monat war ihm nicht mehr so leicht ums Herz gewesen. »Weißt du was – wir sollten uns mit Hermine wieder vertragen … sie wollte ja nur helfen …«
»Ja, schon gut«, sagte Ron. »Sie ist im Gemeinschaftsraum und arbeitet – zur Abwechslung mal –«
Sie bogen in den Korridor zum Gryffindor-Turm ein und sahen an dessen Ende Neville Longbottom flehentlich mit Sir Cadogan verhandeln, der ihn offenbar nicht einlassen wollte.
»Ich hab sie mir doch aufgeschrieben!«, sagte Neville, den Tränen nahe. »Aber ich muss den Zettel irgendwie verlegt haben!«
»Eine tolle Ausrede!«, brüllte Sir Cadogan. Dann erkannte er Harry und Ron: »Einen guten Abend, die edlen jungen Freischützen! Kommt und legt diesen Taugenichts in Ketten, er ist gewillt, sich Eingang zu meinen Gemächern zu erzwingen!«
»Ach, halt den Mund«, sagte Ron. Sie standen jetzt neben Neville.
»Ich hab die Passwörter verloren!«, erklärte Neville verzweifelt. »Ich hab ihn dazu überredet, mir zu sagen, welche Passwörter er diese Woche benutzen will, weil er sie ja dauernd ändert, und jetzt weiß ich nicht mehr, wo ich den Zettel hingelegt hab!«
»Metzengerstein«, sagte Harry, und Sir Cadogan, offenbar furchtbar enttäuscht, klappte widerwillig zur Seite und ließ sie ein. Jähes, erregtes Gemurmel hob an, alle Köpfe wandten sich ihnen zu und schon war Harry umgeben von einer Traube Schüler, die alle begeistert auf den Feuerblitz deuteten.
»Wo hast du den her, Harry?«
»Kann ich ihn mal fliegen?«
»Hast du ihn schon ausprobiert, Harry?«
»Ravenclaw hat jetzt keine Chance mehr, die haben doch alle
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