Harry Potter und der Halbblutprinz
erneut auf die verborgene Tür zur Treppe. Ein lautes Krachen und Kreischen ertönte, und dann hörte man, wie Wurmschwanz wieder die Treppe hinaufstolperte.
»Verzeihung«, sagte Snape. »Er hat sich in letzter Zeit angewöhnt, an Türen zu lauschen, ich weiß nicht, was das soll … Was sagtest du gerade, Narzissa?«
Sie holte zitternd tief Luft und begann von neuem.
»Severus, ich weiß, ich sollte nicht hier sein, mir wurde befohlen, niemandem etwas zu sagen, aber –«
»Dann solltest du den Mund halten!«, fauchte Bellatrix. »Vor allem in dieser Gesellschaft!«
»›Dieser Gesellschaft‹?«, wiederholte Snape mit hämischem Grinsen. »Und was darf ich darunter verstehen, Bellatrix?«
»Dass ich dir nicht traue, Snape, wie du ganz genau weißt!«
Narzissa machte ein Geräusch, das wie ein trockenes Schluchzen klang, und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Snape stellte sein Glas auf den Tisch, lehnte sich, die Hände auf den Sessellehnen, wieder zurück und lächelte in Bellatrix’ finsteres Gesicht.
»Narzissa, ich denke, wir sollten uns anhören, was Bellatrix so dringend loswerden will; das wird uns lästige Unterbrechungen ersparen. Nun, weiter, Bellatrix«, sagte Snape. »Warum traust du mir nicht?«
»Aus tausend Gründen!«, sagte sie laut, trat hinter dem Sofa hervor und knallte ihr Glas auf den Tisch. »Wo soll ich anfangen? Wo warst du beim Sturz des Dunklen Lords? Warum hast du nie einen Versuch unternommen, ihn zu finden, als er verschwunden war? Was hast du all die Jahre getan, in denen du bei Dumbledore gehaust hast? Warum hast du den Dunklen Lord daran gehindert, sich den Stein der Weisen zu besorgen? Warum bist du nicht sofort zurückgekehrt, als der Dunkle Lord wiedergeboren wurde? Wo warst du vor einigen Wochen, als wir darum kämpften, die Prophezeiung für den Dunklen Lord zu beschaffen? Und warum, Snape, ist Harry Potter immer noch am Leben, wo er dir doch fünf Jahre lang auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war?«
Mit heftig wogender Brust und hochroten Wangen hielt sie inne. Hinter ihr saß Narzissa reglos, das Gesicht immer noch in den Händen verborgen.
Snape lächelte.
»Ehe ich dir antworte – o ja, Bellatrix, ich werde antworten! Du kannst meine Worte dann all den anderen übermitteln, die hinter meinem Rücken tuscheln und dem Dunklen Lord Lügenmärchen über meine Treulosigkeit auftischen! Aber wie gesagt, ehe ich dir antworte, will ich dir auch eine Frage stellen. Glaubst du wirklich, dass der Dunkle Lord mir nicht jede einzelne dieser Fragen gestellt hat? Und glaubst du wirklich, dass ich hier sitzen und mit dir sprechen würde, wenn ich ihm keine befriedigenden Antworten hätte geben können?«
Sie zögerte.
»Ich weiß, er glaubt dir, aber –«
»Du denkst, er täuscht sich? Oder ich hätte ihn irgendwie hinters Licht geführt? Den Dunklen Lord hereingelegt, den größten Zauberer, den begnadetsten Legilimentor, den die Welt je gesehen hat?«
Bellatrix sagte nichts, schien aber zum ersten Mal leicht verunsichert. Snape drang nicht weiter auf sie ein. Er nahm sein Weinglas, nippte daran und fuhr fort: »Du fragst, wo ich beim Sturz des Dunklen Lords war. Ich war dort, wo er mich hinbefohlen hatte, an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei, weil es sein Wunsch war, dass ich Albus Dumbledore ausspioniere. Ich vermute, du weißt, dass ich diesen Posten auf Befehl des Dunklen Lords annahm?«
Sie nickte kaum merklich und öffnete den Mund, aber Snape kam ihr zuvor.
»Du fragst, warum ich nicht versucht habe, ihn zu finden, als er verschwunden war. Aus demselben Grund, aus dem auch Avery, Yaxley, die Carrows, Greyback, Lucius« – er neigte den Kopf leicht zu Narzissa – »und viele andere nicht versucht haben, ihn zu finden. Ich dachte, er wäre erledigt. Ich bin nicht stolz darauf, ich habe mich geirrt, aber so war es nun einmal … Wenn er uns, die den Glauben damals verloren haben, nicht verziehen hätte, dann hätte er jetzt nur noch sehr wenige Anhänger.«
»Er hätte mich!«, sagte Bellatrix leidenschaftlich. »Mich, die für ihn viele Jahre in Askaban gesessen hat!«
»Ja, in der Tat, höchst bewundernswert«, sagte Snape und es klang gelangweilt. »Du hast ihm zwar im Gefängnis nicht sonderlich genützt, aber die Geste war zweifellos edel –«
»Geste!«, schrie Bellatrix; in ihrem Zorn wirkte sie fast irre. »Während ich die Dementoren ertragen musste, warst du in Hogwarts und hast es dir als Dumbledores Schoßhündchen bequem
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