Harry Potter und der Halbblutprinz
ungewöhnlich gut in den Geheimgängen des Schlosses aus und konnte ohne größere Probleme mistelfrei von einem Klassenzimmer ins andere gelangen.
Ron, der früher vielleicht eher eifersüchtig als belustigt darüber gewesen wäre, dass solche Umwege nötig wurden, fand es jetzt nur zum Brüllen komisch. Harry mochte diesen neuen, lachenden, Witze reißenden Ron viel lieber als seine übellaunige, aggressive Ausgabe, die er in den vergangenen Wochen erduldet hatte, doch den besseren Ron gab es nur zu einem hohen Preis. Erstens musste Harry sich mit der häufigen Anwesenheit von Lavender Brown abfinden, für die offenbar jeder Moment, in dem sie Ron nicht küsste, ein verschwendeter Moment war; und zweitens merkte Harry wieder einmal, dass er der beste Freund von zwei Menschen war, die, wie es aussah, nie wieder miteinander sprechen würden.
Ron, der an den Händen und Unterarmen immer noch Kratzer und Schnittwunden von Hermines Vogelangriff hatte, nahm eine trotzige und gereizte Haltung ein.
»Sie kann sich nicht beschweren«, erklärte er Harry. »Sie hat mit Krum geknutscht. Und jetzt hat sie festgestellt, dass mit mir auch jemand knutschen will. Nun, wir leben in einem freien Land. Ich hab nichts Falsches gemacht.«
Harry antwortete nicht, sondern tat so, als wäre er völlig in das Buch vertieft, das sie vor Zauberkunst am nächsten Morgen gelesen haben sollten (Die Suche nach der Quintessenz) . Da er entschlossen war, sowohl mit Ron als auch mit Hermine befreundet zu bleiben, verbrachte er viel Zeit mit fest verschlossenem Mund.
»Ich hab Hermine nie irgendwas versprochen«, murmelte Ron. »Das heißt, na schön, ich wollte mit ihr zu Slughorns Weihnachtsparty, aber sie hat nie gesagt … nur als Freunde … ich bin ein freier Mensch …«
Harry blätterte eine Seite von Quintessenz um und spürte, dass Ron ihn beobachtete. Rons Murmeln wurde immer leiser und war durch das laute Knistern des Feuers kaum noch zu hören, doch Harry meinte, noch einmal die Wörter »Krum« und »kann sich nicht beschweren« zu verstehen.
Hermines Stundenplan war so voll, dass Harry nur abends richtig mit ihr reden konnte, wenn Ron ohnehin so eng um Lavender geschlungen war, dass er nicht bemerkte, was Harry tat. Hermine weigerte sich, im Gemeinschaftsraum zu sitzen, solange Ron dort war, also traf Harry sie meistens in der Bibliothek, was bedeutete, dass sie sich flüsternd unterhalten mussten.
»Er kann küssen, wen immer er mag«, sagte Hermine, während Madam Pince, die Bibliothekarin, durch die Regalreihen hinter ihnen streifte. »Das ist mir wirklich vollkommen schnuppe.«
Sie hob ihre Feder und setzte so heftig ein Pünktchen auf ein »i«, dass sie ein Loch in ihr Pergament stach. Harry sagte nichts. Vielleicht würde ihm bald die Stimme absterben, so selten gebrauchte er sie. Er beugte sich ein wenig tiefer über Zaubertränke für Fortgeschrittene und machte sich weiter Notizen über Endlos-Elixiere, wobei er gelegentlich innehielt, um die nützlichen Ergänzungen des Prinzen zum Text von Libatius Borage zu entziffern.
»Und übrigens«, sagte Hermine nach einigen Augenblicken, »du musst vorsichtig sein.«
»Zum letzten Mal«, erwiderte Harry etwas heiser flüsternd, nachdem er eine Dreiviertelstunde geschwiegen hatte, »ich geb dieses Buch nicht zurück, ich hab mehr von dem Halbblutprinzen gelernt, als Snape oder Slughorn mir in –«
»Ich rede nicht von deinem blöden so genannten Prinzen«, sagte Hermine und versetzte seinem Buch einen bösen Blick, als sei es grob zu ihr gewesen, »ich rede von vorhin. Bevor ich hierherkam, war ich noch kurz auf dem Klo, und da waren etwa ein Dutzend Mädchen, darunter Romilda Vane, die sich alle den Kopf darüber zerbrochen haben, wie sie dir einen Liebestrank unterjubeln könnten. Die wollen dich alle dazu bringen, sie mit zu Slughorns Party zu nehmen, und offenbar haben sie diese Liebestränke bei Fred und George gekauft, die, ich muss es leider sagen, wahrscheinlich wirken –«
»Und warum hast du sie dann nicht beschlagnahmt?«, wollte Harry wissen. Es schien erstaunlich, dass Hermines Eifer, Vorschriften einzuhalten, sie zu diesem entscheidenden Zeitpunkt im Stich gelassen hatte.
»Die hatten die Tränke nicht mit im Klo«, sagte Hermine verächtlich. »Sie haben nur über ihre Vorgehensweise diskutiert. Da ich glaube, dass nicht einmal der Halbblutprinz« – sie versetzte dem Buch einen weiteren bösen Blick – »sich ein Gegenmittel für ein Dutzend
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