Harry Potter und der Halbblutprinz
gebt auch Ginny davon. Grüßt sie von mir. Ich muss mich beeilen, Dumbledore wartet –«
»Nein!«, sagte Hermine, während Ron mit ehrfurchtsvoller Miene das Fläschchen mit dem goldenen Zaubertrank auswickelte. »Wir wollen es nicht, nimm du es, wer weiß, was dich erwartet!«
»Mir wird schon nichts passieren, Dumbledore ist ja bei mir«, sagte Harry. »Ich will nur sichergehen, dass mit euch alles okay ist … Guck nicht so, Hermine, wir sehen uns später …«
Und schon war er durch das Porträtloch verschwunden und eilte in Richtung Eingangshalle.
Dumbledore wartete draußen beim Eichenportal. Er drehte sich um, als Harry auf die oberste Steinstufe herausschlitterte, heftig keuchend und mit brennendem Seitenstechen.
»Zieh bitte deinen Tarnumhang an«, bat Dumbledore und wartete, bis Harry ihn übergeworfen hatte. Dann sagte er: »Sehr gut. Gehen wir?«
Dumbledore stieg augenblicklich die steinernen Stufen hinunter und sein Reiseumhang bewegte sich kaum in der stillen Sommerluft. Harry, der immer noch keuchte und ziemlich schwitzte, eilte unter seinem Tarnumhang neben ihm her.
»Aber was werden die Leute denken, wenn man Sie weggehen sieht, Professor?«, fragte Harry und dachte an Malfoy und Snape.
»Dass ich auf ein Glas nach Hogsmeade gehe«, sagte Dumbledore leichthin. »Ab und zu statte ich Rosmerta einen Besuch ab, oder aber ich schaue im Eberkopf vorbei … jedenfalls sieht es danach aus. Es ist eine recht gute Methode, sein wahres Ziel zu verschleiern.«
In der hereinbrechenden Dämmerung gingen sie den Zufahrtsweg hinunter. Die Luft war voller Gerüche nach warmem Gras, nach Seewasser und nach dem Rauch des Holzfeuers in Hagrids Hütte. Es war kaum zu glauben, dass sie zu etwas Gefährlichem oder Furchterregendem unterwegs waren.
»Professor«, sagte Harry leise, als das Tor am Ende des Zufahrtswegs in Sicht kam, »werden wir apparieren?«
»Ja«, sagte Dumbledore. »Du kannst jetzt apparieren, denke ich?«
»Ja«, erwiderte Harry, »aber ich habe keine Erlaubnis.«
Er hielt es für das Beste, ehrlich zu sein; was wäre, wenn er alles verdarb, indem er hundert Kilometer von dort entfernt auftauchte, wo er eigentlich hinsollte?
»Macht nichts«, sagte Dumbledore. »Ich kann dir wieder helfen.«
Sie gingen durch das Tor und schlugen den dämmrigen, einsamen Weg nach Hogsmeade ein. Während sie dahingingen, senkte sich rasch die Dunkelheit über sie, und als sie die Hauptstraße erreicht hatten, wurde es endgültig Nacht. Aus den Fenstern über den Läden funkelten Lichter, und als sie sich den Drei Besen näherten, hörten sie heiseres Geschrei.
»– und lass dich hier nicht mehr blicken!«, rief Madam Rosmerta, die gerade einen schäbig aussehenden Zauberer unsanft hinauswarf. »Oh, hallo, Albus … Sie sind spät unterwegs …«
»Guten Abend, Rosmerta, guten Abend … verzeihen Sie mir, ich geh in den Eberkopf … nichts für ungut, aber mir ist heute Abend nach etwas Ruhigerem zumute …«
Eine Minute später bogen sie um die Ecke in die Seitenstraße, wo das Schild des Eberkopfes ein wenig knarzte, obwohl kein bisschen Wind ging. Im Gegensatz zu den Drei Besen schien dieses Wirtshaus völlig leer zu sein.
»Es wird wohl nicht nötig sein, dass wir reingehen«, murmelte Dumbledore und blickte sich rasch um. »Solange uns niemand verschwinden sieht … Leg jetzt bitte deine Hand auf meinen Arm, Harry. Du musst nicht allzu fest zupacken, ich führe dich nur. Ich zähle auf drei – eins … zwei … drei …«
Harry drehte sich. Er hatte sofort wieder dieses schreckliche Gefühl, als ob er durch einen dicken Gummischlauch gezwängt würde; er bekam keine Luft, alles an ihm wurde fast unerträglich zusammengequetscht, und dann, gerade als er glaubte, ersticken zu müssen, schienen die unsichtbaren Bänder aufzureißen, und er stand in kühler Dunkelheit und atmete mit tiefen Zügen frische, salzige Luft ein.
Die Höhle
Harry roch Salz und hörte Wellen brausen; eine leichte kalte Brise zerzauste ihm das Haar, während er auf das mondhelle Meer und den sternübersäten Himmel hinaussah. Er stand auf einem hohen dunklen Felsblock, und unter ihm schäumte und toste das Wasser. Er blickte über die Schulter. Hinten ragte eine mächtige Klippe auf, ein senkrechter Felssturz, schwarz und gesichtslos. Einige große Steinbrocken wie der, auf dem Harry und Dumbledore standen, machten den Eindruck, als wären sie irgendwann in der Vergangenheit aus der Klippenwand herausgebrochen. Es
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