Harte Schule
Kriminalhauptkommissarin also, Leiterin des Dezernats 1.1 für Tötungsdelikte und Todesermittlungen, das war neu.
Eine wackere Frau, die ihre Untergebenen mit ihrer physischen Gegenwart beglückte und sich nicht zu scha de war, eigenhändig nach einem Streifenpolizisten zu win ken, der mich abführte.
Mit dem Klingeln zur Pause erschienen an den Fens tern zum Hof Gesichter. Die Gänge waren plötzlich voll von Orange, Giftgrün und DDR-Blau mit weißen Streifen und viel Nabelfrei. Die jungen Türken in gestreiftem Adidas mit Messern in den Taschen. Die Lans in weißen Hosen mit zu Krönchen und Kränzchen gegelten Farbstoffhaaren, bei ihnen die Schminkmädels mit quellendem Busen und so knappen Hüftjeans, dass der Stringtanga rausguckte. Den Skatern hingen die Hosen von den Hinterbacken, der Hosenboden in den Kniekehlen. Hin und wieder ein Skin mit Springerstiefeln, ein Punk mit Hahnenkamm, ein Gruftie ganz in Schwarz und Samt. Was war das nur für ein Rektor, der den Unterricht voll durchziehen ließ, während der Deutschlehrer auf dem Schulhof erkaltete.
Die Glieder des Lehrkörpers, die im zweiten Stock aschgesichtig dem Lehrerzimmer zueilten, waren schon reichlich gichtig, keiner unter fünfzig. Da fiel es auf, dass der albinoblonde Mann im grauen Zweireiher, der, gefolgt von Isolde, aus dem Rektorat kam, kaum die vierzig erreicht haben konnte.
»Wie gesagt«, sagte er, »ich muss erst einmal das Kollegium informieren.«
»Aber natürlich«, antwortete Isolde. »Wir warten gern.«
Otter war ein pigmentarmes Prachtexemplar von ei nem breitärschigen Jungkarrieristen, der außer einer Topausbildung in Menschenführung und dem richtigen Parteibuch noch ein Schweinsgesicht ins Amt einbrachte. Wieder einmal wäre ich gern Mäuschen im Lehrerzimmer gewesen. Wenn Isolde behauptete, sie warte gern, war sie keine Journalistin. Jetzt wollte sie auf dem Schulhof Ju gendliche befragen.
Ein Junge, gerade mal elf oder zwölf Jahre klein, sprang uns auf der Treppe entgegen und fuhr just in dem Moment, da er zwischen uns durchhuschte, die Ellbogen aus. Mich traf er an der Brust. Auch Isolde japste. Ich erwischte ihn am Kragen. Sein Maul feixte noch, aber seine Augen weiteten sich schon. Kurzerhand fasste ich ihm in den Schritt.
»He, was machen Sie denn da!«, rief jemand von unten.
Der Bub riss sich los. Eine Lehrerin stieg mit fliegenden Grauhaaren die Treppe hinauf. Isolde war auffällig sprachlos.
»Wir wollen zu Herrn Otter«, sagte ich.
»Das Rektorat befindet sich aber oben.« Die Lehrerin machte graue Augen hinter den Brillengläsern und zupfte am violetten Halstuch. Sie war dem, was sie gesehen hat te, sprachlich im Moment nicht gewachsen. Überdies fanta siert jeder Mensch, der dazu verdammt ist, sich als Leh rer auf die Gewalt des Wortes zu beschränken, zuweilen von handgreiflicher Zurechtweisung der Rabauken. Isolde und ich kehrten um und fanden zwischen den Grünkübeln Platz. Mit dem Klingeln zum Pausenende erschien Otter.
»Frau äh Ringolf. Von welcher Zeitung waren Sie doch gleich noch mal?« Er öffnete die Tür zum Sekretariat und dann das zu seinem Büro.
»Das ist meine Kollegin Lisa Nerz«, hechelte Isolde hinterher.
Otter eroberte seinen Schreibtisch. Der Stuhl dahinter machte ihn optisch größer. Wir nahmen auf Stühlen da vor Platz. Isolde schlug die Beine übereinander. Der Wickelrock klaffte, wie es sich gehörte. Otter nahm seinen glasigen Blick an die Kandare. »Wie gesagt, ich kann Ihnen auch nichts sagen. Wir sind entsetzt und schockiert über diese feige Tat. Herr äh Marquardt war …«
»Dann war es Mord?«, unterbrach ich.
Otters Äuglein hielten es nur Bruchteile von Sekunden auf meinem Gesicht aus. »Wie gesagt, Frau äh Ringolf, Sie werden verstehen, dass ich zu diesem Zeitpunkt natürlich keinerlei Auskunft geben kann, um die polizeilichen Ermittlungen nicht zu gefährden. Herr Marquardt unterrichtete an dieser Schule Deutsch und Ethik seit nunmehr fünf Jahren. Er war ein engagierter Kollege. Ich habe seine Beförderung zum Oberstudiendirektor befürwortet. Er war ein sehr beliebter Kollege …«
»Bei wem?«, fragte ich. »Bei den Schülern oder bei seinen Kollegen?«
Otter blinzelte. »Die Türken gingen sogar zu ihm in den Ethikunterricht. Aber«, an Isolde gewandt, »das schreiben Sie bitte nicht, denn sonst steht morgen der Imam bei mir im Vorzimmer. Wir haben hier einen Ausländeranteil von dreißig Prozent.«
»Verstehe«, seufzte Isolde aus tiefster deutscher
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