Harte Schule
Seele. »Da ist die Gewaltrate sicherlich hoch.«
Otter versteifte sich. »Eine konsequente Erziehung zur Leistungsbereitschaft und Demokratie ist der beste Schutz vor politisch motivierter Gewalt. Ich darf wohl sagen, dass wir an dieser Schule bislang keine derartigen Vorkommnisse hatten. Diese erschütternde Bluttat ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar.«
Niemand verlangte von Otter, dass er einen Mord nachvollzog.
»Ist Herr Marquardt verheiratet?«, erkundigte ich mich.
»Nein.«
»War er schwul?«
Otter zog das Kinn an. »Wie gesagt, ich kann hier, selbst wenn ich es wüsste, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes über private Dinge natürlich keine Auskunft geben.« Er schaute auf die Uhr.
»Natürlich«, sprang ihm Isolde bei. »Wir haben ja auch schon viel von Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen. Allerdings hätten wir da noch eine kleine Bitte. Wäre es wohl möglich, ein paar Worte mit Marquardts Klasse zu sprechen? Ein paar Schülerstimmen würden das Bild abrunden.«
Warum war Isolde nur so darauf erpicht, mit Jugendli chen zu reden? Otter errötete, quetschte sich hinter sei nem Schreibtisch hervor und ließ sich von Frau Bluthaupt, die sich auf allerhöchsten Stöckelschuhen in Zeitlupe zu den Stundenplanaushängen bewegte, sagen, wo die Klasse 8 b Unterricht hatte. Ich fragte mich, was Schüler von einem Rektor hielten, der immer rot anlief. Was er von Schülern hielt, offenbarte er Isolde beim Gang durch die Gänge. Rechtschreibung mangelhaft, Rechnen ungenügend. »Hätten wir bei Pisa mitgemacht, Deutschland wäre Letzter geworden.« In einer Zeit, da sich das Weltwissen in einem Jahr verfünffache, komme es auf die Grundla gen an und darauf, dass die Schüler das Lernen lernten. Otter setzte auf die Vermehrung von Datenträgern. Gleich bei Amtsantritt hatte er den EDV-Raum ausgebaut. Leider versagten die Rechner zuverlässiger den Dienst als ein Lehrer mit Burn-out-Syndrom. Isolde gab sich als Philo sophin und Politologin zu erkennen. Ich trottelte hinter her und spielte mit dem Gedanken, ihr in den Nietenabsatz zu treten.
Otter atmete durch, ehe er die Hand mit dem Ring am kleinen Finger auf die Klinke einer Klassenzimmertür legte. Dann trat er schwungvoll ein und überraschte Madame Hoffmann mitten im Wort il meurt .
»Entschuldigen Sie die Störung. Hier sind zwei äh Damen von der Presse.«
Madame Hoffmann schob scharfen Protest auf ihr Gesicht, doch als ihr Blick auf mich fiel, wichen die Gesichtszüge erschrocken zurück. Manche Schöngeister konnten sich schlecht beherrschen, wenn sie die Narbe erblickten, die mein Gesicht spaltete.
Otter verabschiedete sich von Isolde mit eiligem Handschlag und schwitzte hinaus. Isolde ging zur Tafel hinüber. Ich blieb bei der Tür und lehnte mich gegen den Rahmen. Da Isolde bei der Lehrerin stand, musste sie nun auch etwas sagen.
»Ja, äh, ihr wisst doch alle, was euerm Deutschlehrer, dem Herrn Marquardt, zugestoßen ist.«
Die Schüler lümmelten.
»Ihr seid doch sicher alle sehr betroffen.«
Ich erhaschte den hellblauen Blick einer gefärbten Blondine in der zweiten Bank. Sie hatte einen Teint wie Milch und Zucker.
»Herr Marquardt war doch ein beliebter Lehrer«, krampfte Isolde weiter.
Neben der Aquamarinblondine saß eine dicke Brünette mit Ringen an jedem Finger und nabelfreiem Streifenwestchen. Sie starrte mich hemmungslos an. Die Grunge-Lady hinter ihr nahm verstohlen den Walkman aus den Ohren. Sie trug drei Lagen laufmaschiger, auf links gedrehter Strickpullover übereinander. Vier blankäugige Südländer in blauen Trainingsanzügen flegelten hinten.
»Wir möchten«, holte Isolde aus, »etwas über die schreckliche Tat in der Zeitung bringen. Dafür brauchen wir noch ein paar Schülerstimmen …«
Ich zog die Hand aus der Jackentasche und legte – unsichtbar für Isolde – den Finger an die Lippen. Die Aquamarinblonde runkste ihrer Nebensitzerin den Ellbogen in die Rippen. Die Grunge-Lady schaute sich um. Eine Mauer des Schweigens war im Nu hochgezogen.
»Oder habt ihr zu seinem Tod gar nichts zu sagen?«, mühte sich Isolde. »Lässt euch das denn völlig kalt?!«
Hinten stand einer auf, zog die Jacke vom Stuhl und schlappte nach vorne knapp an Isolde vorbei zur Tür.
»Wo willst du hin, Marko?«, fragte Madame Hoff mann alarmiert.
Der Junge zeigte bös gelichtete Vorderzähne, streifte mich mit der Schulter und knallte die Tür.
»Ich denke«, sagte die Französischlehrerin energisch, »Sie
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