Harter Schnitt
Lippenstift. Will wusste nicht, ob sie nach ihrer Waffe griff oder tatsächlich ihren Lippenstift brauchte. Die Antwort bekam er, als die Tür von einer großen, geschmeidigen Frau, ein Grinsen auf dem Gesicht, geöffnet wurde.
» Mandy Wagner, das ist ja eine Ewigkeit her.« Die Frau schien sich fast zu freuen. Sie war Asiatin, ungefähr in Amandas Alter, mit kurzen grauen Haaren. Sie war dünn wie ein Teenager, doch ihre ärmellose Bluse zeigte Arme mit prägnantem Muskeltonus. Sie sprach mit deutlichem Südstaaten-Akzent. Die träge Art ihrer Bewegungen hatte etwas Katzenhaftes, vielleicht hatte aber auch der Haschischgeruch, den sie verströmte, etwas damit zu tun. Sie trug perlenverzierte Mokassins, wie man sie als Souvenir in Touristenläden in Indianerreservaten fand.
» Julia.« Amanda lächelte verbindlich. » Freut mich sehr, dich zu sehen.« Sie umarmten sich, und Will sah, dass die Hand der Frau an Amandas Taille kurz verweilte.
» Das ist Will Trent, mein Kollege.« Sie legte ihre Hand über Julias, als sie sich Will zuwandte. » Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass er dabei ist. Er ist noch in der Ausbildung.«
» Was für ein Glück er hat, von der Besten zu lernen«, säuselte Julia. » Sag ihm, er soll seine Waffe auf die Theke legen. Du auch, Mandy. Benutzt du noch immer diesen alten Crown-Royal-Beutel?«
» Schützt den Schlagbolzen vor Staubflusen.« Die Waffe gab ein dumpfes Geräusch von sich, als sie den Beutel auf die Theke legte. Der mürrische Mann schaute hinein und nickte seiner Chefin dann zu. Will folgte der Bitte nicht so schnell. Seine Waffe gab er nur sehr ungern ab.
» Will«, sagte Amanda, » bringen Sie mich nicht vor meinen Freunden in Verlegenheit.«
Er zog den Halfter vom Gürtel und legte seine Glock auf die Theke.
Julia lachte, als sie sie durch die Tür winkte. Das Lagerhaus war noch größer, als es von außen aussah, aber die eigentliche Werkstatt war so klein, dass sie in eine Doppelgarage passen würde. Gut ein Dutzend Männer bauten Schränke zusammen. Will konnte nicht sagen, ob sie Asiaten, Hispanos oder sonst etwas waren, weil sie alle ihre Kappen tief in die Stirn gezogen und die Gesichter abgewandt hatten. Wer sie auch waren, es war offensichtlich, dass sie arbeiteten. Stechender Leimgeruch hing in der Luft. Auf dem Boden lag Sägemehl. Eine riesige Konföderiertenfahne diente als Abtrennung zwischen dem Arbeitsbereich und dem offensichtlich leeren hinteren Teil des Gebäudes. Die Sterne waren gelb anstatt weiß.
Julia führte sie durch eine weitere Tür, und sie standen in einem kleinen, aber gut ausgestatteten Büro. Der Teppich war weich. Es gab zwei sehr üppig gepolsterte Sofas. Ein fetter Chihuahua hockte auf einem Lehnsessel am Fenster, die Augen geschlossen gegen die wenige Sonne, die durch die Scheiben fiel. Schwere Metallstangen unterteilten den Blick in die Liefergasse hinter dem Gebäude.
» Will hat einen Chihuahua«, sagte Amanda, weil sie ihn heute noch nicht genug gedemütigt hatte. » Wie heißt er gleich wieder?«
Will kam sich vor, als hätte er Stacheldraht in der Kehle. » Betty.«
» Wirklich?« Julia nahm den Hund in den Arm und setzte sich mit ihm auf die Couch. Sie klopfte auf das Polster neben sich, und Amanda setzte sich. » Das ist Arnoldo. Er ist ein dralles kleines Ding. Ist der Ihre lang- oder kurzhaarig?«
Will wusste nicht, was er tun sollte. Er griff nach hinten, um seine Brieftasche herauszuziehen, und dachte zu spät an Amandas Revolver. Die Waffe bewegte sich gefährlich, und er setzte sich den Frauen gegenüber auf die andere Couch, öffnete seine Brieftasche und zog Bettys Foto heraus.
Julia schnalzte mit der Zunge. » Ist sie nicht ganz reizend?«
» Vielen Dank.« Will schob das Foto wieder in die Brieftasche und steckte sie in seine Jackentasche. » Der Ihre ist auch sehr nett.«
Julia hatte Will bereits ausgeblendet. Sie strich mit der Hand über Amandas Bein. » Was führt dich zu mir, meine Liebe?«
Auch Amanda schaffte es sehr gut, Will zu ignorieren. » Ich gehe davon aus, du hast von Evelyn gehört?«
» Ja«, sagte Julia und zog das Wort in die Länge, » arme Almeja. Ich hoffe, sie behandeln sie gut.«
Will musste sich zusammennehmen, damit ihm der Mund nicht aufklappte. Evelyn Mitchell war Almeja.
Amanda legte ihre Hand auf Julias. » Ich nehme nicht an, dass du irgendwas gehört hast, wo sie sein könnte?«
» Keinen Ton, aber du weißt, ich würde direkt zu dir kommen, wenn ich etwas
Weitere Kostenlose Bücher