Harter Schnitt
Richter hatte keine Lust, ihm auf Staatskosten eine zweite Chance zu geben, deshalb sprang die Mutter ein und besorgte ihm ein Bett in Healing Winds.«
» Wo er Chuck Finn traf?«
» Das ist eine große Einrichtung, aber Sie haben recht. Es wäre wohl ziemlich weit hergeholt zu sagen, dass diese Männer rein zufällig zur selben Zeit dort waren.«
Will war schockiert, sie dies zugeben zu hören, aber er redete einfach weiter: » Falls Chuck Hironobu Kwon gesagt hatte, Evelyn hätte noch irgendwo Geld herumliegen…« Er lächelte. Endlich ergab etwas einen Sinn. » Was ist mit dem anderen Kerl? Der B-negative, der vor dem Grady lag? Hatte er irgendeine Verbindung mit Chuck oder Hironobu?«
» Marcellus Estevez wurde noch nie verhaftet. Er ist geboren und aufgewachsen in Miami, Florida. Vor zwei Jahren zog er nach Carrollton, um auf das West Georgia College zu gehen. Vor einem Vierteljahr warf er hin. Seitdem hatte er keinen Kontakt mehr mit seiner Familie.«
Noch ein Junge Mitte zwanzig, der sich mit sehr schlechten Leuten eingelassen hatte. » Sie scheinen ja eine ganze Menge über Estevez zu wissen.«
» Das APD hatte bereits mit den Eltern gesprochen. Sie meldeten ihn als vermisst, sobald sie vom College erfuhren, dass er nicht mehr am Unterricht teilnahm.«
» Seit wann gibt Atlanta denn Informationen an uns weiter?«
» Sagen wir einfach, ich habe mit ein paar alten Freunden Kontakt aufgenommen.«
Allmählich schälte sich für Will das Bild eines Netzwerks aus stahlharten, alten Karrierefrauen heraus, die entweder Amanda etwas schuldig waren oder irgendwann in ihren langen Berufsjahren mit Evelyn zusammengearbeitet hatten.
Sie fuhr fort: » Wichtig ist, dass wir nicht wissen, wie der B-negative Estevez hier ins Bild passt. Bis auf Hironobu Kwon und Chuck Finn gibt es keinen Hinweis auf Verbindungen zwischen irgendjemandem im Haus. Sie gingen alle auf verschiedene Highschools. Nicht alle von ihnen waren im College, aber diejenigen, die es waren, nicht zur selben Zeit in demselben College. Sie haben keine gemeinsamen Gang-Verbindungen oder Club-Mitgliedschaften. Sie alle haben verschiedene Hintergründe, verschiedene Abstammungen.«
Will hatte den Eindruck, dass sie zumindest in dieser Hinsicht ehrlich war. Bei jeder Ermittlung, die mehrere Täter betraf, war der Schlüssel immer herauszufinden, woher sie einander kannten. Menschliche Wesen wurden meistens durch ihre Gewohnheiten durchschaubar. Wenn man herausfand, wo sie sich trafen, woher sie sich kannten oder was sie zueinandergeführt hatte, dann fand man im Allgemeinen jemanden außerhalb der Gruppe, der an ihrem Rand herumhing und bereit war zu reden.
Er sagte ihr, was er dachte, seit er Evelyns verwüstetes Haus gesehen hatte: » Die ganze Sache kommt mir vor wie ein persönlicher Rachefeldzug.«
» Das sind die meisten Rachefeldzüge.«
» Nein, ich meine, es kommt mir vor, als ginge es um mehr als Geld.«
» Das wird eine der vielen Fragen sein, die wir diesen Idioten stellen, wenn wir sie erst in Handschellen haben.« Amanda riss am Steuerrad und fuhr so heftig in eine Kurve, dass Will ans Fenster geschleudert wurde. » Tut mir leid.«
Er konnte sich nicht erinnern, dass Amanda sich je entschuldigt hätte. Er starrte ihr Profil an. Ihr Kinn war noch mehr vorgeschoben als gewöhnlich. Ihre Haut war fahl. Sie sah richtig fertig aus. Und sie hatte ihm in den letzten zehn Minuten mehr Informationen gegeben als in den letzten vierundzwanzig Stunden. » Ist sonst noch was los?«
» Nein.« Sie hielt vor einem großen Lagerhaus mit sechs Ladebuchten. LKW s waren nirgends zu sehen, aber vor den großen Toren parkten diverse Fahrzeuge. Jedes der Fahrzeuge kostete mehr als Wills Pension– BMW s, Mercedes’– sogar ein Bentley.
Amanda fuhr ein Mal um den Vorplatz herum, um sicherzustellen, dass es keine bösen Überraschungen gab. Die Fläche war so groß, dass ein Neunachser hätte wenden können, und fiel zu den Ladebuchten leicht ab, um Be- und Entladen zu erleichtern. Sie machte eine Kehre und fuhr auf demselben Weg zurück. Die Reifen quietschen, als sie heftig am Steuer riss und so weit weg vom Gebäude parkte, wie es ging, ohne auf dem Gras zu stehen. Amanda stellte den Motor ab. Der SUV stand jetzt direkt gegenüber dem Gebäudeabschnitt, der den Empfang zu beherbergen schien. Sie waren etwa fünfzig Meter von der Fassade entfernt. Bröckelnde Betonstufen führten zu einer Glastür. Das Geländer war so verrostet, dass es zur Seite
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