Harter Schnitt
solche Situation bringen würdest. Du würdest mich nie vor diese Wahl stellen.«
Sara schaute ihm in die Augen. Im Sonnenlicht, das durch die Fenster strömte, wirkten seine Wimpern weiß. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er durchgemacht hatte, den Grad der Verzweiflung, der ihn dazu getrieben hatte, die Klinge in die Hand zu nehmen.
» Ich sollte dich jetzt weiterarbeiten lassen.« Er beugte sich über den Tisch, küsste ihre Hand und ließ seine Lippen einen Augenblick dort verweilen. Als er sich aufrichtete, hatte sich etwas an ihm verändert. Seine Stimme war fester, entschiedener. » Du musst wissen, wenn du mich je brauchst, bin ich da. Egal, was sonst noch passiert. Ich werde da sein.«
In seinen Worten lag etwas Endgültiges, als wäre jetzt alles geklärt. Er wirkte beinahe erleichtert.
» Will…«
» Schon gut.« Er lachte verlegen auf. » Schätze, du bist immun gegen meinen erstaunlichen Charme.«
Sara hatte einen Kloß im Hals. Sie konnte nicht glauben, dass er so schnell aufgab. Sie wollte, dass er kämpfte. Sie wollte, dass er mit der Faust auf den Tisch schlug und ihr sagte, dass es ganz und gar nicht vorbei sei, dass er sie nicht so einfach aufgeben werde.
Aber er tat es nicht. Er zog einfach seine Hand aus der ihren zurück und stand auf. » Danke. Ich weiß, das klingt blöd.« Er schaute sie an, sah dann zur Tür. » Einfach nur– danke.«
Sie hörte seine Schritte, dann die Geräusche vom Korridor, als er die Tür öffnete. Sara drückte sich die Finger an die Augen, versuchte, die Tränen aufzuhalten. Sie verstand seinen resignierten Ton nicht, seine schnelle Unterwerfung unter etwas, das ihm unvermeidbar erschien. Sie hatte keine Ahnung, was er mit dieser Geschichte über Angie erreichen wollte. Sollte Sara Mitleid mit dieser Frau haben? Sollte sie es romantisch finden, dass Will bereit war, sich selbst zu töten, um sie zu retten?
Sie begriff plötzlich, dass Will ähnlich war wie Jeffrey, ähnlicher, als sie sich eingestehen wollte. Vielleicht stand Sara auf Feuerwehrmänner, nicht auf Polizisten. Beide Männer hatten die Bereitschaft gezeigt, direkt in brennende Häuser zu rennen. Allein in der letzten Woche war Will von Gangstern beschossen, von einem Psychopathen bedroht, von mindestens drei Frauen tyrannisiert, vor Fremden gedemütigt und stundenlang in einen engen Kofferraum gesteckt worden, und dann hatte er sich freiwillig in eine Situation gestürzt, von der er wusste, dass sie ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben kosten würde. Will war so verdammt erpicht darauf, alle und jeden zu retten, dass er gar nicht merkte, wie nötig er es hatte, vor sich selbst gerettet zu werden. Jeder nutzte ihn aus. Jeder beutete seine Gutmütigkeit, seine Freundlichkeit aus. Kein Mensch dachte auch nur daran, Will zu fragen, was er brauchte.
Sein ganzes Leben hatte er im Schatten verbracht, das stoische Kind, das ganz hinten im Klassenzimmer saß und Angst hatte, etwas zu sagen, weil man ihn dann durchschauen könnte. Angie hatte ihn im Dunkeln gehalten, weil es ihren selbstsüchtigen Bedürfnissen diente. Sara hatte bei ihrem ersten Mal mit Will sehr schnell erkannt, dass er noch nie mit einer Frau zusammen gewesen war, die ihn wirklich lieben konnte. Kein Wunder, dass er so schnell kapituliert hatte, als sie ihm sagte, es sei vorbei. Will hatte es als gegeben hingenommen, dass das Gute im Leben nie ewig währte. Das war der Grund, warum er so erleichtert geklungen hatte. Er hatte die Zehen über den Abgrund gestreckt, hatte aber zu viel Angst, den Sprung zu wagen.
Sara merkte, wie ihr vor Überraschung der Mund aufklappte. Sie war genauso schuldig wie alle anderen. Sie hatte verzweifelt darauf gewartet, dass Will um sie kämpfte, und ihr war nie in den Sinn gekommen, dass Will vielleicht darauf wartete, dass sie um ihn kämpfte.
Sie stürzte durch die Tür und rannte den Korridor entlang, bevor die Logik Einspruch erheben konnte. Wie üblich war die Notaufnahme voller Menschen. Schwestern liefen mit Infusionsbeuteln hin und her, Bahren wurden vorbeigeschoben. Sara lief zum Aufzug. Ein Dutzend Mal drückte sie auf den Abwärts-Knopf und flehte inständig, dass die Tür sich öffnen möge. Die Treppen führten zur Rückseite des Krankenhauses. Das Parkhaus befand sich an der Vorderseite. Will würde schon zu Hause sein, bis sie um das Gebäude herumgelaufen war. Sara schaute auf die Uhr und fragte sich, wie viel Zeit sie mit Selbstmitleid verschwendet hatte. Will war inzwischen
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