Harter Schnitt
nach außen gedreht. Das Auto stand auf der Straße, die Vorderreifen gegen den Bordstein eingeschlagen. Will parkte sein Auto genauso. Atlanta war eine Stadt mit vielen Hügeln, schließlich lag es auf dem Vorgebirge der Appalachian Mountains. Wenn man ein Auto mit Schaltgetriebe fuhr, schlug man die Vorderräder immer in Richtung Bordstein ein, damit das Auto nicht davonrollte.
» Was ist los?« Faith stand in der Tür. Will gab ihr das Baby, das Foto schien sie aber mehr zu interessieren. » Was entdeckt?«
» Ich zeige ihm eben Snippers.« Mit einem Taschenspielertrick hatte Mrs. Levy es geschafft, den Mann verschwinden und die Katze wieder auftauchen zu lassen.
Emma bewegte sich in Faith’ Armen, offensichtlich spürte sie die Erregung ihrer Mutter. Faith küsste sie immer wieder auf die Wange und schnitt Grimassen, bis das Baby lächelte. Will wusste, dass Faith nur eine Schau abzog. Tränen standen ihr in den Augen. Sie drückte sich das Kind fest an die Brust.
Mrs. Levy sagte: » Evelyn ist eine zähe, alte Lady. Sie werden sie nicht brechen.«
Faith schaukelte das Baby, wie Mütter es automatisch tun. » Hast du irgendwas gehört?«
» Ach, Darling, wenn ich irgendwas gehört hätte, wäre ich mit meiner Bleispritze da drüben gewesen.« Das Wort war mindestens so alt wie Mrs. Levy. Will vermutete, sie meinte damit einen großkalibrigen Revolver, wie er im Wilden Westen benutzt wurde. » Ev wird die ganze Geschichte gut überstehen. Sie landet immer auf den Füßen. Darauf kannst du Gift nehmen.«
» Ich denke nur…« Faith’ Stimme stockte. » Wenn ich früher gekommen wäre, oder…« Sie schüttelte den Kopf. » Warum ist das passiert? Du weißt, dass Mama in nichts Schlimmes verwickelt ist. Warum sollte irgendjemand sie entführen?«
» Manchmal gibt’s einfach keine Erklärung für den Blödsinn, den Leute sich in den Kopf setzen.« Die alte Frau zuckte leicht die Achseln. » Ich weiß nur, dass es dich auffressen wird, wenn du nicht aufhörst, dich zu fragen, was gewesen wäre, wenn du dies oder jenes getan hättest.« Sie drückte Faith die Fingerrücken an die Wange. » Vertrau auf Gott, dass er sie beschützt. ›Auf deine Klugheit aber verlass dich nicht.‹«
Faith nickte feierlich, obwohl Will sie nicht für besonders religiös hielt.
Amandas Schritte waren dumpf auf dem Teppichboden des Flurs zu hören zu. » Ich kann sie nicht länger hinhalten«, sagte sie Faith. » Draußen wartet ein Streifenwagen, der dich ins Revier bringen soll. Versuche, den Mund zu halten und zu tun, was dein Anwalt dir rät.«
» Auf das Baby aufpassen ist das Mindeste, was ich tun kann«, warf Mrs. Levy dazwischen. » Du nimmst sie nicht mit in dieses dreckige Revier, und Jeremy hat keine Ahnung, was bei einer Windel oben und unten ist.«
Faith wollte das Angebot offensichtlich sehr gerne annehmen, sie zögerte aber trotzdem. » Ich weiß nicht, wie lange ich bleiben werde.«
» Du weißt, dass ich ein Nachtmensch bin. Das ist kein Problem.«
» Danke.« Faith übergab das Baby widerstrebend der alten Frau. Sie strich Emmas braune Haare glatt und küsste sie auf den Kopf, dann ging sie ohne ein weiteres Wort.
Kaum war die Haustür geschlossen, kam Amanda zur Sache. » Was ist?«
Mrs. Levy zog das Foto unter ihrer Schürze hervor.
» Evelyn hatte einen regelmäßigen Besucher«, erläuterte Will. Mrs. Levy hatte ein gutes Gedächtnis: Der Mann war kahl, die Jeans schlabberig, sein Hemd zerknittert, die Ärmel waren aufgekrempelt. Zu erwähnen vergessen hatte sie allerdings ein wichtiges Detail, nämlich dass er Hispano war. Das Tattoo auf seinem Arm war unscharf, aber Will erkannte sofort das Symbol auf seinem Unterarm, das ihn als einen der Los Texicanos auswies.
Amanda faltete das Foto, bevor sie es in die Tasche ihrer Kostümjacke steckte. Sie fragte Mrs. Levy: » Haben die Uniformierten schon mit dir gesprochen?«
» Ich bin mir sicher, dass sie irgendwann auch zu den kleinen, alten Damen kommen werden.«
» Ich nehme an, du bist dann so kooperativ wie immer.«
Sie lächelte. » Ich weiß nicht recht, was ich ihnen sagen kann, aber ich werde gleich frische Plätzchen herrichten für den Fall, dass sie mich besuchen.«
Amanda kicherte. » Vorsicht, Roz.« Sie verließ das Zimmer und winkte Will, ihr zu folgen.
Will griff in seine Brieftasche und zog eine Visitenkarte für Mrs. Levy heraus. » Da drauf stehen alle meine Nummern. Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt oder
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