Harter Schnitt
ihrem Haus zurück und wartete.«
Will kommentierte das nicht. Dann fragte er: » Ist er je in ihr Haus gegangen?«
» Das kann ich nicht sagen. Ich schätze, inzwischen machen die Leute vieles anders. Zu meiner Zeit hätte ein Mann an die Tür geklopft und einen dann zum Auto begleitet. Vorzufahren und einfach nur zu hupen, gab es damals nicht.«
» Hat er das getan– gehupt?«
» Nein, mein Sohn, das war doch nur eine Redewendung. Ich vermute, Eve hat zum Fenster hinausgeschaut, weil sie immer gleich herauskam, sobald er eintraf.«
» Wissen Sie, wohin sie fuhren?«
» Nein, aber wie gesagt, sie waren meistens so zwei bis drei Stunden weg, deshalb nahm ich an, sie waren im Kino oder beim Essen.«
Das waren viele Filme. » Kam der Mann heute auch?«
» Nein, und ich habe sonst niemanden auf der Straße gesehen. Dass es Probleme gab, hörte ich an den Polizeisirenen. Dann hörte ich natürlich die Schüsse und ungefähr eine Minute später noch einen einzelnen Schuss. Ich weiß, wie Schüsse klingen. Mr. Levy war Jäger. Damals waren das alle Polizisten. Ich musste immer mitkommen, damit ich für sie kochen konnte.« Sie verdrehte die Augen. » Was für ein geschwätziger Langweiler er doch war. Gott sei seiner Seele gnädig.«
» Ein Glück für ihn, dass er Sie hatte.«
» Ein Glück für mich, dass er nicht mehr da ist.« Sie stand unter Schwierigkeiten vom Schaukelstuhl auf, doch das Baby lag ruhig in ihren Armen. Die Flasche war leer. Sie stellte sie auf den Tisch und reichte Will Emma. » Können Sie sie einen Augenblick halten?«
Er legte sich Emma an die Schulter und streichelte ihren Rücken. Sie ließ ein ungewöhnlich belohnendes Rülpsen hören.
Mrs. Levy kniff die Augen zusammen. » Sie hatten aber schon öfter mit Babys zu tun.«
Will hatte nicht vor, ihr seine Lebensgeschichte zu erzählen. » Die lassen gut mit sich reden.«
Sie legte ihm die Hand auf den Arm, bevor sie zum Wandschrank ging. Will hatte recht gehabt. In dem kleinen Hohlraum befand sich eine Dunkelkammer. Er stellte sich an die Tür, achtete aber darauf, ihr nicht das Licht zu nehmen, während sie in einem Stapel Fotografien blätterte. Ihre Hände zitterten leicht, aber sie schien sicher auf ihren Füßen zu stehen.
Sie erklärte: » Mr. Levy hatte nie viel übrig für meine Hobbys, aber eines Tages wurde er zu einem Tatort gerufen, und sie fragten, ob irgendjemand einen Fotografen kenne. Fünfundzwanzig Dollar zahlten die– nur fürs Fotografieren. Und dazu sagte der alte Mistkerl natürlich nicht nein. Also rief er mich an und sagte, ich solle die Kamera mitbringen. Als ich wegen der Sauerei nicht ohnmächtig wurde– es war ein Vorfall mit einer Flinte–, hieß es, ich könnte das wieder machen.« Sie wies zum Bett. » Diese Brownie Six-16 hat uns geholfen, das Dach über dem Kopf zu behalten.«
Will wusste, dass sie die Kastenkamera meinte. Sie sah zwar abgenutzt, aber sehr gepflegt aus.
» Später ging ich dann ins Überwachungsgeschäft. Mr. Levy hatte sich zu der Zeit schon aus dem Job getrunken, und natürlich bin ich eine Frau, und die Männer brauchten deshalb ziemlich lange, bis sie begriffen, dass ich nicht fürs Flirten oder Vögeln da war.«
Will spürte, wie er errötete. » War das beim Atlanta Police Department?«
» Achtundfünfzig Jahre!« Sie wirkte ebenso überrascht wie Will, dass sie so lange ausgehalten hatte. » Inzwischen mag ich ja eine alte Schachtel sein, aber es gab eine Zeit, da hätten Geary und seine Arschkriecher vor mir Haltung angenommen, anstatt mich abzubürsten wie Staubflusen auf ihren glänzenden Hosen.« Sie nahm sich einen weiteren Fotostapel vor. Will sah Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Vögeln und diversen Haustieren, alle aus einem Blickwinkel, dass man meinen konnte, sie würden eher ausspioniert als bewundert. » Dieses kleine Dingsda hat mir mein Blumenbeet zerwühlt.« Sie zeigte Will das Foto einer grau-weißen Katze mit Erde auf der Schnauze. Auf dem Schwarz-Weiß-Abzug wirkte das Licht sehr hart. Das Einzige, was fehlte, war eine Tafel vor der Brust mit dem Namen und der Gefangenennummer.
» Hier.« Endlich hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte. » Das ist er. Evelyns Männerfreund.«
Will schaute ihr über die Schulter. Das Foto war grobkörnig, offensichtlich zwischen den Jalousienlamellen am Vorderfenster hindurch aufgenommen. Ein großer, älterer Mann lehnte an einem schwarzen Cadillac. Er hatte die Hände auf die Motorhaube gestützt, die Ellbogen
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