Harter Schnitt
Werden Sie den Toxikologie-Test für Geary machen?«
Sie richtete ihre Antwort an Amanda: » Faith arbeitet für Sie, nicht fürs Atlanta Police Department. Die brauchen einen Gerichtsbeschluss, um ihr Blut abzunehmen, und ich schätze, die Mühe wollen Sie sich nicht machen.«
Amanda erwiderte: » Rein hypothetisch– was würde ein Tox-Test ergeben?«
» Dass sie nicht berauscht oder von irgendeiner der Substanzen, nach denen gesucht wird, beeinträchtigt war. Wollen Sie eine Blutabnahme?«
» Nein, Dr. Linton. Aber vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Sara ging, ohne Will noch eines Wortes oder wenigstens eines Blickes zu würdigen.
Amanda schlug vor: » Warum schauen Sie nicht nach der lustigen Witwe?«
Will dachte, sie meinte Sara, doch dann meldete sich die Logik. Er ging in den hinteren Teil des Hauses, um Mrs. Levy zu suchen, aber zuvor sah er noch, dass Amanda Faith an sich zog und sie fest umarmte. Die Geste war fast schockierend, kam sie doch von einer Frau, die so viel Mutterinstinkt hatte wie ein Dingo.
Will wusste, dass Faith und Amanda eine gemeinsame Vergangenheit hatten, über die keine der Frauen je sprach oder sie auch nur eingestand. Während Evelyn Mitchell im Atlanta Police Department als Wegbereiterin für Frauen agiert hatte, tat Amanda Wagner dasselbe im GBI . Die beiden waren Zeitgenossinnen, ungefähr gleich alt, und sie hatten dieselbe männermordende Einstellung. Sie waren außerdem lebenslange Freundinnen– Amanda war sogar einmal mit Evelyns Schwager und Faith’ Onkel gegangen, ein Detail, das Amanda vergessen hatte, Will zu sagen, als sie ihm den Auftrag gab, gegen das Drogendezernat zu ermitteln, das von ihrer alten Freundin geführt wurde.
Mrs. Levy fand er im hinteren Schlafzimmer, das offensichtlich in einen Allzweckraum für alles verwandelt worden war. Es gab einen Tisch, an dem sie anscheinend an Sammelalben arbeitete, was Will nur deshalb erkannte, weil er einmal eine Schießerei in der Vorstadt bearbeitet hatte, bei der eine junge Mutter ermordet worden war, während sie gerade Wellenrand-Fotos von einem Urlaub am Strand auf Buntpapier klebte. Ein Paar altmodische Rollschuhe mit jeweils vier Rädern lagen herum, in einer Ecke lehnte ein Tennisschläger, auf einer Bettcouch waren verschiedene Kameras verteilt, einige waren digital, aber die meisten waren altmodische Apparate, in die noch richtiger Film eingelegt werden musste. Über dem Wandschrank sah er eine rote Lampe und nahm an, dass sie ihre Fotos selbst entwickelte.
Mrs. Levy saß in einem hölzernen Schaukelstuhl am Fenster, Emma auf dem Schoß. Ihre Schürze war wie eine Decke um das Baby gewickelt. Am Saum standen die Gänseküken auf dem Kopf. Emma hatte die Augen geschlossen und saugte gierig an ihrem Fläschchen. Das Geräusch erinnerte Will an das Baby in der Fernsehserie Die Simpsons.
» Setzen Sie sich doch«, forderte die alte Frau ihn auf. » Emma ist schon wieder recht munter.«
Will setzte sich vorsichtig auf die Couch, um nicht an die Kameras zu stoßen. » Es war gut, dass Sie zufällig gerade ein Fläschchen für sie dahatten.«
» Ja, nicht?« Sie lächelte auf das Baby hinunter. » Das arme Lämmchen hat wegen der ganzen Aufregung sein Nickerchen verpasst.«
» Haben Sie auch ein Bettchen für sie?«
Sie kicherte heiser. » Ich nehme an, Sie haben bereits in mein Schlafzimmer geschaut.«
So dreist war Will nicht gewesen, aber jetzt fragte er: » Wie oft passen Sie auf Emma auf?«
» Normalerweise ein paar Mal die Woche.«
» Und in letzter Zeit?«
Sie zwinkerte ihm zu. » Sie sind ja ein ganz Schlauer.«
Eher ein Glückspilz, dachte er. Es war ihm nur merkwürdig vorgekommen, dass Mrs. Levy zufällig gerade ein Fläschchen herumliegen hatte, als Emma eines brauchte. Er fragte: » Was hat Evelyn in letzter Zeit denn so getrieben?«
» Wirke ich so unverschämt, dass ich mich in die Privatangelegenheiten anderer Leute einmischen würde?«
» Wie kann ich das beantworten, ohne Sie zu beleidigen?«
Sie lachte, gestand dann aber ziemlich bereitwillig: » Evelyn hat zwar nie was gesagt, aber ich vermute, dass sie einen Freund hat.«
» Wie lange schon?«
» Drei oder vier Monate?« Sie schien sich die Frage selbst zu stellen. Und nickte als Antwort. » Es war kurz nach Emmas Geburt. Zuerst gingen sie es langsam an, vielleicht ein Mal die Woche oder alle zwei Wochen, aber ich würde sagen, in den letzten Tagen trafen sie sich häufiger. Seit meiner Pensionierung schreibe ich mir nichts
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