Harter Schnitt
nicht der Grund für die Verzögerung gewesen.
Er wartete, bis die Männer an die Haustür klopften. » Ich schätze, Sie kennen Mrs. Levy aus Ihrer Zeit beim APD ?«
» GBI . Ich habe wegen des Verdachts des Mordes an ihrem Mann ermittelt.« Amanda schien Wills entsetzten Ausdruck zu genießen. » Konnte es zwar nie beweisen, ich bin mir aber sicher, dass sie ihn vergiftet hat.«
» Plätzchen?«, riet er.
» Das war meine Arbeitshypothese.« Ein anerkennendes Lächeln kräuselte ihre Lippen, als sie über den Rasen gingen. » Roz ist ein gerissenes altes Mädchen. Hat mehr Tatorte gesehen als wir alle zusammen, und ich bin mir sicher, sie hat sich jedes Mal Notizen gemacht. Ich würde nicht die Hälfte von dem glauben, was sie Ihnen erzählt hat. Denken Sie daran– der Teufel kann sich auf die Schrift berufen.«
Damit hatte Amanda nicht ganz unrecht oder, genauer, Shakespeare. Dennoch gab Will zu bedenken: » Mrs. Levy ist diejenige, die mir von den Besuchen des Texicanos bei Evelyn erzählt hat. Sie hat ihn fotografiert.«
» Sieht so aus.«
Will spürte diese Bemerkung wie einen Schlag auf den Hinterkopf. Wenn man davon ausging, dass Mrs. Levys künstlerisches Talent sich eher zum unvorteilhaften Porträtieren von Haustieren eignete, schien es merkwürdig, dass sie zufällig ein Foto des Texicanos neben seinem schwarzen Cadillac bei der Hand hatte. Sie war eine raffinierte alte Dame und musste aus einem bestimmten Grund spioniert haben. » Wir sollten zurückgehen und mit ihr reden.«
» Glauben Sie wirklich, dass sie uns irgendwas Nützliches sagen wird?«
Will musste Amanda insgeheim zustimmen. Mrs. Levy schien ihre Spielchen zu genießen, und nach Evelyns Verschwinden hatten sie nicht wirklich Zeit, sich auf sie einzulassen. » Weiß Evelyn, dass sie ihren Mann umgebracht hat?«
» Natürlich weiß sie es.«
» Und trotzdem überlässt sie ihr Emma?«
Sie hatten Faith’ Mini erreicht. Amanda drückte die Hände an die Scheibe und spähte hinein. » Sie hat einen vierundsechzigjährigen, zu Misshandlungen neigenden Alkoholiker umgebracht, kein vier Monate altes Baby.«
Will nahm an, dass irgendwo auf dieser Welt diese Logik ihre Richtigkeit hatte.
Amanda ging auf das Haus zu. Charlie Reed redete im Carport mit einigen anderen Spurensicherungstechnikern. Einige rauchten, andere lehnten an einem beigefarbenen Malibu, der Schnauze an Schnauze hinter Faith’ Mini stand. Sie alle trugen weiße Tyvek-Schutzanzüge, die sie aussehen ließen wie schmutzige Marshmallows unterschiedlicher Größe. Charlies mächtiger Schnurrbart war das Einzige, was ihn von den glatt rasierten Männern unterschied. Er entdeckte Amanda und löste sich aus der Gruppe.
Sie sagte: » Was gibt’s zu berichten, Charlie?«
Charlie schaute kurz zurück zu einem stämmigen, dunklen Mann, dessen Tyvek-Anzug an all den kritischen Stellen seines Körpers unvorteilhaft eng saß. Der Mann zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und gab sie dann einem Kollegen. Dann stellte er sich Amanda mit abgehacktem, britisch klingendem Akzent vor: » Dr. Wagner, ich bin Dr. Ahbidi Mittal.«
Sie deutete auf Will. » Das ist Dr. Trent, mein Mitarbeiter.«
Will gab dem Mann die Hand und versuchte, nicht zusammenzuzucken angesichts der mühelosen Art, wie Amanda mit einem Titel prahlte, von dem sie beide wussten, dass er ihn an einem zwielichtigen Online-College erworben hatte.
Mittal erklärte: » Aus reiner Höflichkeit bin ich bereit, Ihnen den Tatort zu zeigen.«
Amanda warf Charlie einen schneidenden Blick zu, als hätte er in der Sache irgendetwas zu sagen.
» Vielen Dank«, sagte Will, weil er wusste, dass sonst niemand reagieren würde.
Mittal gab ihnen beiden Plastiküberzieher für die Schuhe. Amanda stützte sich an Wills Arm ab, während sie ihre High Heels abstreifte und in Strümpfen in die Überzieher stieg. Will dagegen musste ohne Hilfe herumhopsen. Auch ohne Schuhe waren seine Füße zu groß, und so sah er schließlich aus wie Mrs. Levy, deren Fersen hinten aus den Pantoffeln herausragten.
» Sollen wir drinnen anfangen?« Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern führte sie hinten um den Malibu herum und durch die Küchentür ins Haus. Will duckte sich instinktiv, als er die niedere Decke sah. Charlie stieß gegen ihn und murmelte eine Entschuldigung. Für vier Personen war die Küche klein; sie hatte die Form eines Hufeisens, von dessen offenem Ende man in die Wäschekammer gelangte. Will stieg der typische Geruch nach
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