Haschisch - Konsum, Wirkung, Abhängigkeit, Selbsthilfe, Therapie
mit dir. Ich halte vor dir stand, dass du nicht mehr weitergehen kannst. Nur wenn deine Brüder das nicht mehr aushalten und krank werden, musst du gehen.«
W. sah seine Mutter nur lange und still an und wirkte danach sichtbar entlastet. Das war zwar noch nicht der Wendepunkt, aber eine Weichenstellung. Sie ermöglichte W. noch einmal einen anderen Blick auf seine Mutter. Er war eher in der Lage zu sehen, was er eigentlich an seiner Mutter hatte und wie stark sie sich für ihn einsetzte, um ihn in der Familie zu halten. In einem Einzelgespräch mit der für ihn zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes erkannte er die Leistung seiner Mutter an: »Ich finde das gut, wie meine Mutter seit Jahren die Familie zusammenhält.« Es kostete Frau K. Monate weitere Kraft und Energie, die Beziehung zu ihrem Sohn so zu gestalten, dass wieder positivere und liebevollere Töne möglich wurden.
Rückschläge gab es noch etliche. Vor allem in Situationen, in welchen der Vater plötzlich glaubte, sich unvermittelt in die familiären Angelegenheiten einmischen zu müssen. Trat er auf den Plan, hinterließ er Chaos und zusätzliche Spannungen, die Frau K. ausbaden musste. Der Vater vermochte einfach nicht liebevoll-wohlwollend mit seinen drei Söhnen umzugehen, nicht weil er es nicht wollte, sondern es nicht konnte. Die Mutter versuchte lange Zeit, vor den Kindern ein positives Bild ihres Vaters zu zeichnen. Doch er war ihnen zu der Zeit keine positive männliche Identifikationsfigur, an der die Söhne sich auf der Suche nach ihrer eigenen männlichen Rolle hätten orientieren können. Insofern blieb der Vater für die drei Jungen eine immerwährende Quelle der Enttäuschung, an der sie sich abarbeiteten. Erst viel später normalisierte sich das Verhältnis zwischen dem Vater und seinen Söhnen etwas, weil Letztere verstärkt in der Lage waren, die Beziehung von sich aus mitzubestimmen. W. sah und spürte man von außen am meisten an, wie sehr er unter dem Fehlen eines ihn bestärkenden Vaters litt.
Nachdem W. sich sicher sein konnte, dass seine Mutter ihn trotz seiner Kifferei, seiner phasenweise asozialen Verhaltensweisen und seiner unerträglichen Großkotzigkeit nicht aus der Familie fallen lassen würde, trat in seinem Verhalten eine Phase relativer Entspanntheit ein. Sie wurde von seiner Mutter dadurch gefördert, dass sie das Kiffen nicht mehr zum einzig lebensbestimmenden Thema machte. Frau K. sorgte wieder stärker für sich selbst, was ihren Sohn weiter entlastete, da er sich weniger schuldig fühlen musste am Lebensverzicht seiner Mutter. W. kiffte zwar unverändert weiter, aber er sorgte erkennbar seltener für hässliche Szenen. Erste selbstkritische Äußerungen deuteten eine neue Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten an: »Wieso mache ich immer nur Mist, und meine Mutter muss meine Scheiße ausbaden?« Eine fragile Stabilität trat in der Familie an die Stelle der lange Zeit vorherrschenden Kämpfe darum, wer die Macht und das Sagen hatte.
Die für alle überraschende Wende zum Ausstieg aus dem Cannabisdrama kam, als W. sich urplötzlich mit Wirkungen von Cannabis konfrontiert sah, die er vor dem Hintergrund seiner einzig gültigen Wahrheit immer für unmöglich gehalten hatte. W. kiffte bis zu 10 »Heads« am Tag, als er von heute auf morgen von Kreislaufzusammenbrüchen und Ohnmachtsanfällen heimgesucht wurde. Da seine exzessive Kifferei ihn körperlich ausgelaugt hatte, war er in der Tat vital bedroht. Seine Schwächezustände legten W. körperlich in Gänze lahm. Mehrfach musste er aus der Schule abgeholt werden, weil sein Körper ihm den Dienst versagte. Zu seinen körperlichen Reaktionen gesellten sich ebenso unvermittelt Angstzustände, die situativ den Charakter von Panikattacken annahmen. Körper wie Seele setzten eigene Zeichen: »Wir haben genug. Wir spielen so nicht mehr mit.« W. traute sich über Wochen kaum noch vor die Tür. Er fühlte sich so schwach und unsicher in seiner Haut, dass er tagelang nur im Bett lag, der Sprache seines Körpers lauschte und sich Gedanken darüber machte, welche Veränderungen für ihn angesagt waren. W. sah sich zu einem anfänglich unfreiwilligen Zwangsentzug von Cannabis verurteilt, wobei er unter Abstinenzsymptomen litt, die er nie für möglich gehalten hätte. Er glaubte, sich alle verfügbaren Informationen über Cannabis angelesen zu haben und aus eigener Erfahrung alles zu wissen. Jetzt wurde er eines anderen belehrt. Erschöpfungszustände,
Weitere Kostenlose Bücher