Hasenherz
Mutter geht es überhaupt nicht darum, ob sie ihn mag oder nicht, er und sie, sie beide sind nicht mal zwei verschiedene Menschen, er hat in ihrem Bauch angefangen zu sein, und sie hat ihm das Leben gegeben, sie kann es ihm auch wieder wegnehmen, und wenn er zu spüren bekommt, daß sie sich von ihm zurückzieht, dann ist das das Grab für ihn. Von allen Menschen auf der Welt will er ihr am wenigsten begegnen. Er wünscht, sie möge sterben.
Endlich sind sie fertig: Mr. Springer steckt in einem schmucken dunkelgrauen Pfeffer-und-Salz-Anzug, Nelson in einem niedlichen Höschen mit Trägern, Mrs. Springer hat einen schwarzen Filzhut auf dem Kopf, mit einem Schleier drumherum und einer violetten Beeren rispe, und Janice ist rings eingenäht und -geheftet und sieht trotzdem immer noch plump und rußig aus im üppigen Kleid ihrer Mutter. Sie trägt keinen Hut. Der Bestattungsunternehmer kommt mit seinem schwarzen Cadillac und fährt sie zum Beerdigungsinstitut. Früher ist es mal ein normales Haus gewesen, aber jetzt ist es mit Teppichen ausge schlagen, die in keinem normalen Haus vorkommen: blaßgrüne Teppi che, die wie eine zolltiefe Staubschicht auf dem Boden jeglichen Schritt schlucken. Kleine Silberschilde an der Wand schirmen gelbes Licht ab, und Wände und Vorhänge, alles ist in Farben gehalten, mit denen kein normaler Mensch leben möchte: lachsrosa und wasserblau und violett, genau die Schattierung, die Bazillen auf Toilettenbrillen tötet. Sie kom men einen übersonnten Fliesenweg herauf, an schäumenden grünen Büschen vorbei, und warten in einem kleinen rosafarbenen Zimmer. Harry kann in den Hauptraum hineinsehen; für die Leidtragenden sind ein paar Stuhlreihen aufgestellt, und sechs Personen sitzen bereits dort, fünf davon sind Frauen. Die einzige aber, die er kennt, ist Peggy Gring. Ihr kleiner Sohn zappelt neben ihr herum, und das ist der siebente. Anfangs wollten sie ganz en famille bleiben, aber die Springers haben dann doch ein paar enge Freunde hinzugezogen. Seine Eltern sind nicht da. Irgendwo wischen irgend jemandes knochenlose Hände über die Tasten einer elektrischen Orgel. Die krampfigen Farben der Einrichtung gipfeln in dem Treibhausblumen-Arrangement um den kleinen weißen Sarg. Er hat vergoldete Traggriffe, steht auf einem Podium und ist von einem tiefroten Vorhang umflossen. Rabbit denkt, der Vorhang werde sich gleich teilen und, wie durch einen Zaubertrick, das lebendi ge Baby enthüllen. Janice sieht den Sarg und stößt einen erstickten kleinen Schrei aus, und ein Angestellter des Instituts, ein blonder junger Mann mit einem ungesund roten Gesicht, zieht ein Fläschchen mit Ammoniak aus der Jackettasche. Mrs. Springer hält sie ihrer Tochter unter die Nase, und Janice bemüht sich, ihren Ekel nicht zu deutlich zu zeigen. Ihre Brauen ziehen sich hoch, und die Augapfelkugeln springen unter den dünnen Lidhäuten hervor. Harry nimmt ihren Arm und dreht sie um, damit sie nicht in den angrenzenden Raum zu blicken braucht. Das Nebenzimmer hat ein Fenster, durch das man auf die Straße sehen kann, wo Kinder und Autos sich tummeln. «Hoffentlich hat der Pfarrer uns nicht vergessen», läßt der rotgesichtige junge Mann sich vernehmen; er muß kichern und geniert sich deswegen. Aber er kann schließlich nicht dafür, daß er sich hier zu Hause fühlt.
«Kommt das öfter vor?» fragt Mr. Springer. Er steht hinter seiner Frau, und sein Gesicht beugt sich neugierig vor, ein begieriger dunkler kleiner Schlund steht offen unter seinem bläßlichen Schnurrbärtchen. Mrs. Springer hat sich auf einem Stuhl niedergelassen und preßt beide Hände gegen ihr verschleiertes Gesicht. Die violetten Beeren zittern an der Drahtrispe.
«Zirka zweimal im Jahr», kommt die Antwort.
Ein vertrauter alter Plymouth schiebt sich an den Kantstein draußen, und Rabbits Mutter steigt aus und sieht böse den Bürgersteig rauf und runter. Rabbits Herz macht einen Sprung und rutscht ihm auf die Zunge: «Da kommen meine Eltern.» Als stoße er einen Warnruf aus. Und sie spitzen alle die Ohren und richten sich auf, als gelte es, einen Angriff abzuwehren. Mrs. Springer erhebt sich, und Harry postiert sich zwischen ihr und Janice. Wenn er so in einer Schlachtreihe mit den Springers steht, dann sieht seine Mutter wenigstens, daß er sein Los akzeptiert hat und akzeptiert worden ist. Der Institutsangestellte geht hinaus, um die beiden hereinzugeleiten. Harry sieht die Seinen draußen auf dem Weg stehen und sich streiten,
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