Hasstament
dann bin ich auch Autor. Ich passe nicht in die gängigen Denkklischees. Der wichtigste Fixpunkt, den ich als roten Faden immer wieder in meiner Arbeit erkenne, ist mein künstlerisches Selbstverständnis als Theatermensch, also jemand, der kommuniziert über Sprache, über Inszenierung von Sprache oder Erforschung von Sprache, insbesondere die Erforschung von Subtexten und das streift sehr viele andere Bereiche.
Ich bin auf keinen Fall Comedian, das ist ausgeschlossen. Gerade auch weil ich jetzt zu Beginn der neuen Tour merke, wie wenig ich das mag, dieses »Lachen auf Knopfdruck« und wie schwer ich auch damit umgehe, diese Erwartungshaltung der Zuschauer zu erfüllen, sie zum Lachen bringen zu müssen. Ob ich Kabarettist bin, weiß ich auch nicht, weil Kabarett ein mittlerweile durch die Nomenklatur des linksorientierten Spießbürgertums sehr besetzter Begriff ist. Comedy und Kabarett allerdings sind Elemente, die mit Theater zu tun haben, und so gehört es auch zu meiner Arbeit, diese Facetten abzudecken.
Darüber hinaus, und das wissen die wenigsten, bin ich Musiker. Ich denke tatsächlich auch in Noten, wenn ich spreche. Sprache hat für mich sehr viel mit Rhythmus zu tun, viel mit Takt und Metrum. Daher lange Rede, kurzer Sinn: Künstlerisch bin ich irgendetwas zwischen Schauspieler und Musiker.
Was ich persönlich bin, weiß ich auch nicht, da geht es mir ähnlich: Ich habe zwar einen Fixpunkt, das ist meine Herkunft, aber aus diesem Fixpunkt heraus gibt es viele Entwicklungsrichtungen. Ich bin manchmal sehr »holländisch«, weil ich lange in Holland gelebt habe, manchmal bin ich sehr »deutsch«, und manchmal, ohne dass ich jemals da gelebt habe, bin ich sehr »russisch«. In der klassischen Musik jedenfalls war ich schon immer eher bei Shostakovich als bei Schumann.
Ich tue mich also sehr schwer mit konkreten Definitionen, ich definiere mich lieber über das Ganze oder überlasse es dem Rezipienten meiner Arbeit, mich ein-zuordnen. Dieser kann gerne sagen, ich sei Künstler, ich sei Schauspieler oder was auch immer, ich selbst lege mich ungern fest.
Könnte der Begriff der individuellen »Vielfalt« Ihr geschildertes Selbstverständnis umschreiben?
Somuncu: Eher als der Begriff der Vielfalt würde »Freiheit« mein künstlerisches Selbstverständnis umschreiben. Denn nichts ist tödlicher für die künstlerische Freiheit, als Restriktionen, Mauern und vorgefertigte Raster. Diese Raster sind für mich schon immer eine Behinderung gewesen. Es stört mich, dass Leute in vielen Bereichen Ansprüche vorgeben und sagen, etwas hat auf eine bestimmte Art so und so zu sein. Dann hört meine Kunst auch auf zu atmen, dann wird sie anorganisch.
Daher ist dieser große Anspruch an meine künstlerische Freiheit auch eher zu präsentieren in der Vielfalt, als wenn ich mich auf einen spezifischen Punkt konzentriere. Manche Leute sind da anderer Ansicht. Sie sagen, wenn ich mich auf einen speziellen Punkt konzentriere, dann könnte das eine stärkere Wirkung haben, als wenn ich mich so streue. Aber bei mir ist gerade auch das Streuen meiner Energien etwas, das mich sehr zuversichtlich, sicher und stark macht, denn es entspricht zugleich der Vielfalt meiner Eindrücke.
Sie spielen mit großem Genuss mit dem Wechsel zwischen unterschiedlichen zugeschriebenen Identitäten, mit dem »Deutschsein«, mit dem »Türkischsein«. Welche Rolle spielt dabei das »Deutschsein« für Sie? Was heißt das, »deutsch« zu sein?
Somuncu: Das ist eine schwere Frage. Schick wäre es, zu sagen, es gibt keine Unterschiede. Aber es gibt sicher einen Unterschied, zwischen dem Gefühl, »deutsch« zu sein, und dem Gefühl, »türkisch« zu sein. Aber wo dieses Gefühl anfängt und wo es aufhört, das ist meistens sehr schwer zu erkennen.
Man kann es nur an kleinen Dingen festmachen. Es gibt z. B. eine Stelle in meinem neuen Programm, wo ich sage: »Ich weiß nicht, was ich bin, aber ich kann Ihnen deutlich machen, dass Sie ›deutsch‹ sind. Da muss ich nur mal ganz kurz über Juden reden und Ihr innerer Zensor, der sich fragt: ›Darf man so etwas?‹, ist dann das Erste, an dem Sie spüren, wie ›deutsch‹ Sie eigentlich sind.« Da lachen dann viele, aber tatsächlich meine ich das sehr ernst.
Es gibt sehr viele Themen, die im Deutschen ganz anders rüberkommen als im Türkischen. Ich finde es dennoch sehr oberflächlich, eine Typologie des »typischen Deutschen« zu zeichnen. Denn jeder empfindet es letztendlich unterschiedlich.
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