Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hasstament

Hasstament

Titel: Hasstament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serdar Somuncu
Vom Netzwerk:
Für mich ist die Wahrnehmung des »typisch Deutschen« ganz anders als für Sie. Letztendlich ist »deutsch« das, was mich umgibt. Und ich bin ein Fremdkörper in einer sehr ungewöhnlichen Welt. Ich versuche diese Welt zu verstehen, denn ich lebe schon sehr lange hier und manchmal kommt es mir sogar schon so vor wie meine eigene Welt.
    Aber ich fühle auch oft, dass es nicht meine eigene Welt ist. Es macht mir dann ebenso großen Spaß, die Unterschiede zu spüren. Das sind manchmal ganz banale Dinge, wie z. B. im Türkischen Dinge, die man mit sich im Kopf ausmacht, weil man sie nicht direkt ausspricht wie irgendwelche Höflichkeitsrituale, während »deutsch« im Gegenzug dazu, um das jetzt mal stereotyp wiederzugeben, etwas sehr Direktes und zuweilen Unhöfliches ist. Aber das ist mir manchmal sogar lieber.
    Sehen Sie sich selbst als »Vermittler zwischen den Kulturen« oder ist das Bild vom »Dazwischen« oder der »Brücke« prinzipiell fragwürdig?
    Somuncu: Ob ich mich als Vermittler sehe, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob mir das zusteht, Vermittler zu sein. Das ist eine Zuschreibung und letztendlich auch eine Kompensation für eine Auseinandersetzung, die jeder mit sich selbst zu führen hätte. Der Deutsche kann ja genauso vermitteln zwischen deutscher und türkischer Kultur, dafür braucht er ja nicht meine Herkunft.
    Der Vermittler wird mir gerne zugeschrieben, vielleicht auch weil ich gut deutsch sprechen kann, besser als andere Türken, die nicht etwa nur weil sie kein Interesse daran haben, die deutsche Sprache vernachlässigen, sondern auch weil ihnen eine gemeinsame Perspektive fehlt. Viele Türken erleben Deutschland aus einer sehr eingeengten, einer sehr »türkischen« Perspektive, obwohl sie eigentlich schon sehr »deutsch« sind. Man erkennt also nicht immer an der Sprache, wie die Menschen sich fühlen. Manchmal bin ich, obwohl ich mich im Deutschen gut ausdrücken kann, viel türkischer als diese Leute. Das klingt vielleicht widersprüchlich.
    Die Vermittlerrolle steht mir vielleicht auch deswegen nicht zu, weil ich offen gesagt zu wenig von der »türkischen Seite« weiß und nicht genau sagen kann, wie sie sich anfühlen müsste, um glaubhaft zu sein. Wir Türken in Deutschland sind ja erstmal Deutsch-Türken und wir sind anders als die Türkei-Türken. Das hat sehr viel damit zu tun, dass die Türken, die hier leben, die Türkei zu einer »Türkei der Erinnerung« haben werden lassen. Das Einzige, was ihnen geblieben ist, ist ihr türkischer Name und das, was ihnen ihre Eltern von der Türkei vermitteln. Aber auch ihre Eltern, also die Türken der ersten und zweiten Generation leben in einer stilisierten, in einer »Erinnerungs-Türkei«.
    Ich könnte also nur sehr schlecht das repräsentieren, was die Türkei wirklich ist, ich könnte höchstens das repräsentieren, was die Ambivalenz eines Deutsch-Türken ausmacht. Das mache ich manchmal auch gerne, aber nicht »gegen jemanden« oder »für jemanden«, sondern ohne Rücksicht auf die Herkunft, z. B. auch gegen meine eigenen Leute. Ein Vermittler zwischen den deutschen und den türkischen Ansprüchen zu sein ist daher vielleicht einfach, aber es endet meistens ohnehin in Forderungskatalogen und Anpassungsstrategien. Vermittler zwischen Deutschen und Deutschen oder etwa zwischen Türken und Türken zu sein ist viel schwieriger und deckt viel mehr Diskrepanzen auf.
    Und das mache ich sehr gerne, denn ich bin am liebsten dort, wo »Gelenke« sind. Ein Gelenk ist eine Schnittstelle zwischen zwei Knochen, aber zugleich auch etwas Bewegliches. Ich begegne den Leuten dabei zunächst neutral und nicht mit Blick auf ihre Nationalität. Ich sehe sie zunächst als Menschen an, vielleicht mit einer unterschiedlichen Herkunft, einem »Migrationshintergrund«, schreckliches Wort, aber auch mit einem anderen »Sozialisationshintergrund«. Dieser spielt ja bei Türken in Deutschland eine sehr viel größere Rolle als die Tatsache, dass ihre Eltern irgendwann ausgewandert sind. Die meisten sind ja hier geboren und haben mit Migration überhaupt nichts zu tun.
    Dient die Provokation, die in Ihrer Kunst eine große Rolle spielt, auch als Schocktherapie für eine Öffnung der medial oder politisch oft herbeigeredeten Frontstellung zwischen Deutschen und Türken?
    Somuncu: Das ist eine Frage, die ich so nicht beantworten kann, da ich nicht absichtlich provoziere. Ich suche. Wenn Sie Miles Davis gefragt hätten, ob er mit seinem schrägen Ton jemand

Weitere Kostenlose Bücher