Hasstament
Toleranz anderer profitieren, selbst am wenigsten Toleranz gezeigt.
Meine vorletzte Fragestellung war dann: Wo entsteht Meinung? Nämlich in der Mitte der Gesellschaft. Ich habe mich gefragt, wie entsteht Meinung, wer erzeugt Meinung, wie wird Meinung zur Überzeugung. Warum glaubt man mehr, als man weiß. Und da setzt nun mein neues Programm »Hassprediger« an, wo ich nun versuche, selbst Meinung zu erzeugen. Ich spreche zu einem großen Teil fremde Texte, ohne dass die Leute wissen, was ich spreche, sie stimmen mir aber meistens zu. Es gibt beispielsweise einen längeren Text, der immer mit viel Zwischenapplaus begleitet wird, der ist von Scientology und handelt von einer Fernsehkritik. Im Weiteren kommen sogar Bin Laden und der Papst und andere vor und am Ende kommt etwas sehr Erschreckendes heraus. Irgendwann verlieren die Leute nämlich den Überblick und man kann sagen, was man will, sie stimmen einem zu. Ich spiele hier mit eingeschliffenen Befindlichkeiten, ohne sie sofort aufzulösen. Noch mal: Es geht nicht um Provokation. Es geht mir um das Auflösen von Denkgrenzen.
Wie sind die Publikumsreaktionen darauf?
Somuncu: Zunächst muss ich mal sagen, dass ich sehr unterschiedliches Publikum habe. Türkische Jugendliche aus der YouTube-Generation oder 75-jährige deutsche Männer, die sonst nie im Theater sind. Die Reaktionen sind überwiegend positiv und die Leute finden das, was ich mache, zwar hart, aber angemessen. Vor einigen Jahren wäre das den Leuten zu hart gewesen.
Public Enemy bezeichnen Rap als »Black CNN«. Ist Ihr samstäglich erscheinender Video-Blog Hatenight ebenso als eine Art Gegenöffentlichkeit zu verstehen? Um was geht es bei dem Projekt?
Somuncu: Die »Hatenight« ist zunächst einmal eine Gegenöffentlichkeit, die versucht, das Medium Internet mit all seinen Facetten zu nutzen. Auch wenn das Internet nur begrenzt frei zu nutzen ist, denn es gibt ja auch bei YouTube Zensur, so etwa auch bei der »Hatenight«-Folge 20, wo wir immer noch nicht wissen, aus welchem Grund sie zensiert wurde. Vor allem aber nutze ich das Medium Internet, um Dinge auszuprobieren und zu erforschen, wie die Sehgewohnheiten sind, wer was sieht und wie es dann in der Veränderung wahrgenommen wird.
Am Anfang haben wir Fernsehen imitiert und es wirkte wie eine klassische Comedy-Sketch-Show. Unsere größten Fans übten dann nach anfänglicher Euphorie Kritik, was uns dazu geführt hat, zu überlegen, wie wir das ändern können, um zu zeigen, dass es etwas anderes ist als Fernsehen im Internet. Dann hatten wir die Idee, uns selbst zu zensieren. Wir haben angekündigt, nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu senden, was einen Sturm der Entrüstung entfacht hat. Danach gab es eine verschlüsselte Folge, wie auf Premiere, wenn man keinen Decoder hat. Diese Serie hatte die höchste Anzahl an Clicks bis dahin, obwohl nichts zu sehen war.
Die Leute wollen also keine Reproduktion, sondern unverkennbar originären Inhalt. Sie wollen Statement und keine Allgemeinplätze. Da haben wir gemerkt, wie viel Freiheit wir hier eigentlich haben, und sind viel spielerischer und anarchistischer geworden. In jeder Folge greifen wir daher mittlerweile Themen auf, die heikel sind. Auch ich mich selbst. Wir wechseln ständig die Positionen und Sichtweisen. Hinzu kommt: Das Ganze ist ein No-budget-Konzept. Wir haben also kein Geld, sind aber auch nicht abhängig. Wir experimentieren deshalb munter weiter, zum Beispiel mit Geschwindigkeiten, und versuchen das Medium Internet zu verstehen. Das Internet ist die Zukunft und noch weitestgehend unerforscht.
Sie thematisieren in der Hatenight immer wieder das Thema »Angst« und die Produktion von Angst sowie das Thema »Kontrolle über Medien« und die Verbindung zur Sucht vieler Menschen nach Unterhaltung. Was steckt dahinter?
Somuncu: In diesen Episoden spiele ich eine Figur. Ich spiele einen verbitterten, einsamen Typen, der alles hasst, der vor allem eine nicht mehr schweigende Mehrheit repräsentiert, der auf Dinge reagiert, die ihm geschehen. Bankenkrise, »Dschungelcamp«, Wahlen, Sex und Crime. Und er sagt das auf deutliche, direkte und rücksichtslose Art und Weise. Inmitten einer Welt voller Grauzonen wirkt das wie ein gerader Strich, den man zieht. Erholsam kathartisch, wertfrei und ungerecht zugleich. Das ganze Angstszenario, das um uns gebildet wird, ist vor allem eins: Es ist sehr diffus, und der Typ stellt einfach Fragen, die diese Ängste widerspiegeln und
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