Hasstament
allerdings dabei, dass sie sich zur Untermalung der Veranstaltung eine Musikcombo aus Afrika eingeladen hatten.
Die afrikanischen Musiker haben dann richtig heiße Musik gespielt und die Deutschen saßen dann so da und haben mit den Füßen gewippt. Und als die Deutschen dann ihre Reden gehalten haben, saßen die Afrikaner in der ersten Reihe und haben kein Wort verstanden. Das war dann der »Kongress für Interkultur«. Etwas Lächerlicheres kann man sich gar nicht ausdenken, das war keine Interkultur, das war Antikultur. Ich hätte mir gewünscht, dass man vielleicht zu der afrikanischen Musik getanzt hätte und den Afrikanern übersetzt hätte, was sie sich da anhören sollten.
Haben wir bei der WM 2006 den von Gerhard Schröder gewünschten unverkrampften deutschen Patriotismus erlebt?
Somuncu: Überhaupt nicht. Das war der verkrampfteste und widerwärtigste deutsche Nationalismus, den ich je erlebt habe. Das war die Auferstehung des deutschen Gespenstes. Die Leute haben Fahnen geschwungen, haben aber nicht gewusst, mit wem zusammen sie diese Fahnen schwingen sollen. Viele Fahnen waren ja auch mit Sprüchen in altdeutscher Schrift bekritzelt. Man geriet da beim Zusehen oft in eine sehr ekelhafte Nähe zu Leuten, die ein Deutschland vertreten, das nicht mein Deutschland ist.
Außerdem ist es mir egal, ob ich mir eine Fahne aus dem Fenster hänge oder nicht. Wenn meine Mannschaft gut spielt, dann freue ich mich unabhängig von dieser Fahne für diese Mannschaft. All das, was da vorgegeben wurde von »Gastfreundschaft« und »Zu Gast bei Freunden«, das war hochgradig geheuchelt. Es endete nämlich im Halbfinale (redaktionelle Anmerkung: mit dem Ausscheiden Deutschlands gegen Italien): Danach titelte die BILD-Zeitung: »Spaghetti-Boykott«. Und auch viele meiner Freunde sind dann einige Wochen nicht mehr zum Italiener. Das hatte nicht mehr mit Fußball zu tun, das war die Zurschaustellung einer sehr empfindlichen Seele.
Das fatale bei dieser WM war, dass Diskussionen um Nationalstolz auch noch weichgespült und vermischt wurden mit aktuellen Ereignissen wie z. B. von Innenminister Wolfgang Schäuble, der nach einem rechtsextremistischen Übergriff in Potsdam auf den Deutsch-Äthiopier Ermyas M. verlauten ließ, dass es keine No-go-Areas in Ostdeutschland gebe, um so zu tun, als wären wir »Einig-Fußballland« und hätten keine Probleme mit Rechtsextremen. Das war ein Schlag ins Gesicht all derer, die versuchen, ernsthaft etwas gegen Neonazis zu unternehmen. Es war vor allem eine Tourismuskampagne für Deutschland.
So ist es oft. Auf der einen Seite wird Hysterie geschürt und auf der anderen Seite ignoriert. Der U-Bahn-Überfall in München durch migrantische Jugendliche hat lange Zeit die Medien beherrscht und wurde als absolute Grenzüberschreitung bewertet. Er war sogar Anlass für einen kompletten Wahlkampf, den Roland Koch auf dem Rücken der Ausländer ausgetragen hat. Der nahezu zeitgleiche rechte Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt lief als Kurzmeldung bei ARD brisant und das war’s. Hier stimmen die Relationen nicht und das ärgert mich sehr.
Künstlerische Wege
Welche Inhalte hat Ihr aktuelles Programm Hassprediger?
Somuncu: Das ist in der Kürze schwer zu beantworten. Wie ein roter Faden zieht sich durch meine letzten Programme, angefangen mit der Lesung aus »Mein Kampf«, die auch ein Einschnitt war, die auch eine Lösung von traditionellen Theaterformen war, die Frage: »Was ist Faschismus?«, »Wie entsteht er?«, »Was kann man dagegen tun?« und »Wie kann man sich selbst eigentlich in diesen Themenbereichen hinterfragen und positionieren?«.
Bei »Mein Kampf« war das sehr konkret und klar. Da war ein Text, hier waren wir und da waren die Gegner. Aber schon bei dieser Auseinandersetzung merkte ich, dass das sehr stereotyp war und es schnell langweilig wurde, vor Gleichgesinnten Gleichgesinntes zu erzählen, und es eigentlich viel spannender war, zu den vermeintlichen Gegnern zu gehen und mit denen zu reden. Dabei habe ich auch in Kauf genommen, vor der Wegegablung zu stehen und mich entscheiden zu müssen, denn oft war es auch gefährlich und es bestand das Risiko, entweder einen Orden oder ein blaues Auge zu bekommen. Aus diesem Gedanken ist sehr viel Neues entstanden.
Nach dem Ende der Lesungen aus »Mein Kampf«, die sehr anstrengend waren, weil das in der breiten Masse irgendwann als etwas sehr Symbolisches wahrgenommen wurde und ich irgendwann standing ovations
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