Hasturs Erbe - 15
Gewicht. In der Einsamkeit der letzten Tage, unter extremen Belastungen, waren alle
zwischenmenschlichen Barrieren gefallen. Sie waren zwei Jungen gleichen Alters, Freunde, Bredin. Jetzt, in den Domänen, vor anderen, war er wieder der Erbe der Hasturs und Danilo sein Waffenbruder. Er lächelte ein wenig kläglich, akzeptierte aber die Notwendigkeit und ließ Danilo ein paar Schritte vorausreiten. Er blickte auf den Rücken des Freundes und dachte mit sonderbarem Schauder, daß es stimmte, daß es nicht bloß Worte waren: Danilo würde für ihn sterben.
Es war ein furchterregender Gedanke, wenn er ihm auch nicht so fremd hätte sein sollen. Er wußte ganz genau, daß die Wachsoldaten, die ihn schon als kränklichen kleinen Jungen hierhin und dorthin begleitet hatten oder mit ihm nach Nevarsin und zurückgeritten waren, durch viele Eide verschworen waren, ihn mit ihrem Leben zu beschützen. Aber es war ihm niemals richtig klargeworden, bis ihm Danilo aus freien Stücken und aus Liebe jenes Versprechen gegeben hatte. Er ritt gleichmäßig weiter, mit der anerzogenen Beherrschung, die man ihm eingeimpft hatte, doch sein Rücken war mit Gänsehaut überzogen, und er spürte jedes Haar auf dem Unterarm zu Berge stehen. War es dies, was es ausmachte, ein Hastur zu sein? Jetzt konnte er die Reiter sehen. Die ersten Männer trugen die grün-schwarzen Uniformen, die er selber im letzten Sommer getragen hatte. Wachsoldaten der Comyn! Dann sah er andere, die keine Uniform trugen. Aber sie hatten keine Fahnen, keine Abzeichen. Das war eine kriegerische Gruppe. Oder zumindest eine, die auf Kampf vorbereitet war!
Gewöhnliche Reisende hätten die Straße verlassen und die Wachsoldaten passieren lassen. Doch statt dessen ritten Danilo und Regis in gleichmäßigem Tempo direkt auf sie zu. Der erste Wachmann - Regis erkannte ihn als den jungen Offizier Hjalmar -senkte den Speer und forderte ihn formlich auf, sich zu erkennen zu geben.
„Wer reitet in den Domänen…” Er brach ab und vergaß die richtigen Worte. „Lord Regis!” Schnell ritt Gabriel Lanart-Hastur auf sie zu und lenkte sein
Pferd neben das von Regis. Er streckte ihm beide Hände entgegen. „Dank sei dem Herrn des Lichts, du bist gesund! Javanne war fast wahnsinnig vor Angst um dich!”
Regis merkte plötzlich, daß man Gabriel wohl für sein Verschwinden verantwortlich gemacht hatte. Er schuldete ihm eine Abbitte. Doch jetzt war keine Zeit dazu. Die Reiter umrundeten sie, und er bemerkte inmitten der Wachsoldaten viele Mitglieder des Rates der Comyn und andere, die er nicht kannte. An der Spitze ritt auf einem großen grauen Pferd Dyan Ardais. Sein ernstes, stolzes Gesicht entspannte sich leicht, als er Regis erkannte, und er sagte mit rauher, aber melodischer Stimme: „Du hast uns alle Angst eingejagt, Vetter. Wir befürchteten, du seist entweder tot oder in den Bergen gefangen.” Sein Blick fiel auf Danilo, und seine Miene verdüsterte sich, doch er sagte fest: „Dom Syrtis. Es gibt eine Nachricht aus Thendara, die durch die Terraner geschickt und uns überbracht wurde. Man hat auch eine Botschaft an Euren Vater übermittelt, Sir, daß Ihr wohlbehalten und bei guter Gesundheit seid.” Danilo senkte den Kopf und sagte mit kalter Förmlichkeit: „Ich bin dafür dankbar, Lord Ardais.” Regis wußte, wie schwer ihm diese Höflichkeitsfloskel fiel. Er blickte Dyan mit verborgener Neugier an, war überrascht über die prompte Übermittlung der beruhigenden Nachricht und fragte sich schließlich, warum es Dyan nicht Untergebenen überlassen hatte, sie weiterzugeben. Dann wußte er auch die Antwort. Dyan leitete diese Gruppe und würde seiner Pflicht Folge leisten.
Was auch immer seine persönlichen Fehler und Mißhelligkeiten waren, dies eine wußte Regis, seine Verbundenheit zu den Comyn stand an erster Stelle. Was immer er auch tat, alles war dem untergeordnet. Dyan war es vermutlich niemals in den Sinn gekommen, daß sein Privatleben ebenfalls die Ehre der Comyn etwas anging. Es war ein unwillkommener Gedanke, und Regis versuchte ihn zu verdrängen, aber er war da. Und noch beunruhigender war der Gedanke, daß, wenn Danilo ein Zivilbürger und kein Kadett gewesen wäre, es grundsätzlich überhaupt keine Rolle gespielt hätte, wie Dyan ihn behandelt oder ausgebeutet hätte.
Dyan wartete offensichtlich auf eine Erklärung. Regis sagte:
„Danilo und ich wurden auf Burg Aldaran als Gefangene gehalten. Dom Lewis Alton hat uns befreit.” Lews offizieller Titel
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