Hasturs Erbe - 15
„Was willst du denn hier?”
„Ich war auf dem Weg zu meiner Schwester. Ich habe hier eine Rast eingelegt, um deinen Vater zu begrüßen und um zu sehen, wie es dir geht.”
Er sah, wie Danilo förmlich kämpfte zwischen dem Impuls, ihm die höfliche Geste ins Gesicht zurückzuschleudern - was hatte er schon zu verlieren? -, und dem eingeübten Ritual der Höflichkeit. Schließlich sagte er: „Mein Haus und ich stehen zu Euren Diensten, Lord Regis.” Seine Höflichkeit war fast bis zur Karikatur übertrieben. „Wie ist der Wille meines Herrn?”
Regis antwortete: „Ich möchte mit dir reden.”
„Wie Ihr seht, mein Herr, bin ich sehr beschäftigt. Aber ich stehe Euch gänzlich zu Verfügung.”
Regis ignorierte die Ironie und nahm ihn beim Wort.
„Darin komm her und setz dich”, sagte er und nahm auf einem umgefallenen Baumstamm Platz, der schon sehr lange dort liegen mußte, weil er über und über mit Flechten bedeckt war. Still gehorchte Danilo und setzte sich so weit entfernt nieder, wie es der Stamm erlaubte. Nach einem Moment sagte Regis: „Ich möchte, daß du eines weißt: Ich habe keine Ahnung, warum man dich aus der Wache hinausgeworfen hat, oder besser, ich weiß nur, was ich an jenem Tag gehört habe. Aber daraus, wie sich jeder benahm, könnte man glauben, daß ich dir die Schande für etwas überließ, das ich selbst begangen habe. Warum? Was habe ich getan?” „Du weißt…”, begann Danilo und trat mit der Spitze seiner Pantine gegen einen herabgefallenen Apfel. Er zerplatzte mit einem leiseklatschenden Geräusch. „Es ist vorbei. Was immer ich getan habe, dich zu beleidigen, ich habe dafür bezahlt.”
Und dann blitzte für einen Moment die Übereinstimmung, das Bewußtsein, das Danilo in Regis erweckt hatte, wieder zwischen ihnen auf. Er konnte Danilos Verzweiflung und Kummer spüren, als sei es sein eigener. Er sagte mit vor Schmerz rauher Stimme: „Danilo Syrtis, sag mir, was du gegen mich hast, und ich werde es bestätigen oder verneinen. Ich habe versucht, nicht schlecht von dir zu denken, auch nicht in der Schande. Aber du hast mich beschimpft, als ich nur Freundschaft im Sinn hatte, und wenn du über mich oder irgendeinen meiner Verwandten Lügen verbreitet haben solltest, dann verdienst du alles, was man dir angetan hat, und du hast dann immer noch etwas mit mir zu regeln.” Ohne es zu merken, war er auf die Füße gesprungen, und seine Hand war zum Schwertgriff gefahren. Danilo stand trotzig auf. Seine grauen Augen, die unter den dunklen Brauen wie geschmolzenes Metall leuchteten, glühten vor Wut und Schmerz. „Dom Regis, ich bitte Euch, laßt mich in Frieden. Ist es nicht genug, daß ich hier bin ohne Hoffnung, mit einem Vater, der auf immer beschämt sein wird …? Ich könnte ebensogut tot sein!” rief er verzweifelt, und seine Worte stolperten nur so aus seinem Mund: „Etwas gegen dich haben? Nein, nein, nicht gegen dich. Du hast mir nur Freundlichkeit erwiesen, aber du bist einer von denen, einer von diesen, diesen …” Wieder hielt er inne, und seine Stimme klang angespannt von der Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Schließlich rief er verzweifelt: „Regis Hastur, wenn die Götter wirklich leben - mein Gewissen ist rein, und dein Herr des Lichts und der Gott der Cristoforos mögen zwischen den Söhnen Hasturs und mir urteilen!”
Fast unwillkürlich zog Regis das Schwert. Danilo zuckte zusammen und trat ängstlich einen Schritt zurück. Dann reckte er sich und preßte die Lippen aufeinander. „Bestraft Ihr Blasphemie so rasch, mein Herr? Ich bin unbewaffnet, aber wenn meine Beleidigung den Tod verdient, dann tötet mich auf der Stelle. Mein Leben ist mir nichts mehr wert!” Erschüttert senkte Regis die Schwertspitze. „Dich töten, Dani?” sagte er entsetzt. „Gott möge es verhüten! Daran habe ich niemals gedacht. Ich wünschte nur… Dani, lege deine Hand auf mein Schwert!”
Verwirrt gehorchte Danilo und legte vorsichtig die Hand auf Regis’ Schwert. Regis umklammerte Hand und Knauf zusammen mit seinen eigenen Fingern.
„Sohn von Hastur, der der Sohn von Aldones ist, welcher der Herr des Lichts ist! Möge diese Hand und dieses Schwert mein Herz und meine Ehre durchbohren, Danilo, wenn ich an deiner Entehrung teilhatte oder wenn irgend etwas, was du nun sagst, gegen dich gewendet werden sollte.” Wieder spürte er durch die Berührung jenen merkwürdigen Schock den Arm entlanglaufen, der seine Gedanken verwischte, fühlte, wie ihm Danilos
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