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Hasturs Erbe

Hasturs Erbe

Titel: Hasturs Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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diesen Zeiten, vor den Augen eines jeden –, wie kannst du da von Ehre reden?«
    Die heftige Wut war nun aus der Stimme meines Vaters verschwunden; Bitterkeit nahm ihren Platz ein. Er sagte: »Dyan, du gehst mit der Wahrheit um wie andere Menschen mit Lügen, um deinen Nutzen daraus zu ziehen. Ich kenne dich seit unseren Kindertagen, und dieses Mal beginne ich zum ersten Mal, dich fast zu hassen. Gut, Dyan. Du läßt mir keine Wahl. Da du offiziell mit dieser Beschwerde zu mir kommst, als Kadettenmeister, soll es geschehen. Aber ich kann nur schwerlich glauben, daß du es nicht hättest verhindern können.«
    Dyan warf die Tür auf und schritt eilig in die Halle. Er schenkte mir einen kurzen, verächtlichen Blick und sagte: »Immer noch als Spion bei den dir Überlegenen?« Dann ging er hinaus.
    Ich ging zu der offengebliebenen Tür. Mein Vater starrte mich leer an, als könne er sich nicht an meinen Namen erinnern. Dann seufzte er und sagte: »Geh und befehle den Leuten, sich nach dem Frühstück in der Haupthalle zu versammeln. Der Dienst heute morgen ist damit aufgehoben.«
    »Was …?«
    »Disziplinarversammlung.« Er hob die dicken, knotigen Hände, verknöchert und steif durch eine Gelenkkrankheit, seit ich denken kann. »Du wirst dich bereithalten. Ich habe nicht mehr die Kraft, ein Schwert zu zerbrechen, und ich will verdammt sein, wenn ich es Dyan überlasse.«
    »Vater, was ist geschehen?«
    »Das wirst du erfahren«, antwortete Kennard. »Einer der Kadetten hat gegen Dyan das Schwert gezogen.«
    Ich fühlte, wie mein Gesicht vor Entsetzen blaß wurde. Das war in der Tat etwas, das man nicht übergehen konnte. Natürlich fragte ich mich – wer würde das nicht –, aufgrund welcher Provokation von Dyan dies geschehen war. Als ich selbst noch Kadett war, hatte er mir den Arm ausgerenkt, doch selbst in diesem Fall hatte ich mich beherrschen können. Auch wenn zwei Kadetten bei einem kindischen Streit ihre Taschenmesser zögen, würde es ausreichen, sie unehrenhaft zu entlassen.
    Ich war erstaunt, daß Vater versucht hatte, sich dagegen zu wenden. Es schien, daß ich Dyan falsch beurteilt hatte.
    Doch wie auch immer, ich versuchte zu raten, was geschehen war. Wenn der MacAran-Junge an Gehirnerschütterung gestorben war und Damon Dyan dafür verantwortlich hielt – drei Offiziere hatten mir unabhängig voneinander von dem Vorfall berichtet und darin übereingestimmt, daß Dyan unverzeihlich grob gehandelt habe –, dann hätte sich Damon verpflichtet fühlen können, seinen Freund zu rächen. Beide Jungen stammten aus dem Gebirge, und in den Kilghard-Bergen bedeutete eine Freundschaft viel. Ich nahm es dem Jungen nicht übel, und ich schob Dyan die Schuld zu. Ein freundlicherer Mensch hätte es besser verstanden. Dyan, so wie er war, hätte für die Liebe zwischen den beiden Verständnis zeigen müssen.
    Vater erinnerte mich daran, daß ich volle Uniform tragen müsse. Ich beeilte mich mit den Tunikabändern, weil ich die Leute noch beim Frühstück in der Messe erreichen wollte.
    Die Sonne war durch die Wolken gebrochen; schmelzender Schnee lag in kleinen Lachen überall im Hof, doch im Norden sah es immer noch grau und bedrohlich aus. Wenn es später wieder zu schneien begänne, würde ich eine durchweichte Reise haben.
    In der Messe gab es Würstchen zum Frühstück. Der würzige, durchdringende Geruch erinnerte mich, daß ich nichts zu mir genommen hatte. Ich war versucht, die Ordonnanz um einen Teller zu bitten, doch mir fiel ein, daß ich ja Galauniform trug. Ich ging an den vollbesetzten Tischen vorbei in die Mitte des Raumes und bat um Aufmerksamkeit.
    Als ich die Versammlung ankündigte, blickte ich zu dem Tisch hinüber, wo die Kadetten saßen. Zu meiner Überraschung saß Julian MacAran dort. Sein Kopf trug einen dicken Verband, und er sah ein wenig bleich aus. Damit war wohl meine Theorie über das Geschehene erledigt. Regis saß dort und sah so blaß und krank aus, so daß ich einen Moment lang entsetzt glaubte, er sei der in Ungnade gefallene Kadett. Aber dann wäre er in Arrest gewesen.
    Mein Rückweg führte mich an der Baracke der neuen Kadetten vorbei, und ich hörte dort Stimmen. Ich blieb zögernd stehen, um zu sehen, ob ich dort noch meine Nachricht weitergeben konnte. Als ich näherkam, hörte ich leise die Stimme des alten Domenic. Er hätte Kadettenmeister werden sollen, dachte ich in bitterem Zorn.
    »Nein, mein Sohn, das ist nicht nötig. Dein Schwert ist ein Familienerbstück.

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