Hauch der Verdammnis
an dessen Tisch vorbeiging, stieß die Doppeltür zum Südflur auf und ging weiter, bis er am anderen Ende vor dem Fahrstuhl stand. Dort zog er seine Brieftasche hervor und führte sie an einer unscheinbaren grauen Platte vorbei, die über dem Rufknopf eingelassen war. Ein rotes Licht über der Platte verwandelte sich umgehend in ein grünes. Eine Sekunde später öffnete sich die Fahrstuhltür. Yoshihara betrat die Kabine, und die Tür schloß sich.
Kaum eine Minute darauf stand er in dem Labor, in das gestern nacht die längliche Holzkiste gebracht worden war. Die Kiste war mittlerweile verschwunden, ebenso wie das Trockeneis und die Plastikfolien, die als Verpackung gedient hatten.
Nur ein Körper lag auf dem Tisch, allerdings nicht mehr in seinem ursprünglichen Zustand.
Als sich die Labortür öffnete, blickte Stephen Jameson auf. Überrascht sah er auf die Uhr. Er wunderte sich, seinen Arbeitgeber zu sehen.
Fast halb sieben.
Mit einem Schlag spürte Jameson die Anstrengungen der nächtlichen Autopsie. Er nahm seine Brille ab, rieb sich die Augen und streckte sich.
Yoshihara nickte dem Arzt kurz zu und trat an den Tisch, um einen Blick auf die Überreste der Leiche zu werfen, die er hatte ausgraben und nach Maui schicken lassen. Falls der Anblick ihm Unbehagen bereitete, ließ er sich nichts anmerken.
Die Leiche war vom Unterleib bis zum Hals aufgeschnitten, und alle inneren Organe waren entnommen worden. Das Rippengitter war geöffnet und ausgebreitet worden, um leichten Zugriff auf Lunge und Herz zu ermöglichen. Übriggeblieben war nur eine große gähnende Höhle. Da sie vollkommen blutleer war, machte die Leiche den Eindruck, als wäre sie nie lebendig gewesen. Im Gegenteil, der Tote wirkte eher künstlich, als wäre das, was da auf dem Tisch lag, nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Wachs.
Aber Yoshihara wusste, dass es sich um einen Menschen handelte, der gelebt hatte. Er hatte Bilder gesehen, die den Jungen zeigten und erst vor wenigen Wochen aufgenommen worden waren. Ein männlicher Weißer, siebzehn Jahre alt, über einen Meter achtzig groß, mit den breiten Schultern und schmalen Hüften eines Athleten. Auf einem Bild zeigte der Junge ein breites Lächeln. Er hatte vollkommene weiße Zähne, Sommersprossen und ein Grübchen im Kinn. Zusammen mit den blauen Augen und den blonden Haaren sah er aus wie der typische kalifornische Surfer.
Auch als Leiche sah der Junge noch gut aus.
Sein blondes Haar war für die Beerdigungszeremonie ordentlich gekämmt und in Form gebracht worden. Durch die Verpackung war es etwas verrutscht, und noch bevor Yoshihara genau wusste, was er eigentlich tat, beugte er sich herab und strich ihm die störrischen Locken aus der Stirn.
Die Totenbleiche war fachmännisch überschminkt, und die Wangen des Jungen glühten so rosig, als würde er jeden Moment aufwachen.
Das Grübchen im Kinn war so deutlich wie auf dem Foto. Nur die Sommersprossen sah man auf dem ernsten Gesicht nicht mehr.
Yoshihara wandte sich an Jameson, der einen braunen Umschlag in der Hand hielt. »Haben Sie die genaue Todesursache schon feststellen können?«
Jameson öffnete den Umschlag und überflog die Laborergebnisse. Seine Mitarbeiter hatten die ganze Nacht über daran gearbeitet und die Proben analysiert, die Jameson bei der Autopsie jedem Organ entnommen hatte.
Fast alle Organe des Jungen hatten sich als gesund erwiesen, wie es der erste Eindruck hatte vermuten lassen. Die Testergebnisse enthielten keinerlei Hinweise auf Krankheiten oder toxische Substanzen.
Oder zumindest keinerlei Hinweise auf Substanzen, die einen Siebzehnjährigen hätten töten können.
Kein Strychnin, kein Zyanid oder andere Gifte.
Auch keine Drogen. Kein Heroin, kein Kokain, keine Aufputsch- oder Beruhigungsmittel.
Nicht einmal Alkohol oder Haschisch.
Dennoch zeigten die Laborberichte eindeutig, woran der Junge gestorben war.
»Die Todesursache«, sagte er, »war eine allergische Reaktion auf die betreffende Substanz.« Er lächelte Yoshihara zufrieden an. »Als der Krankenwagen kam, versuchte seine Mutter gerade, ihn aus seinem Wagen zu ziehen, der mit laufendem Motor in der geschlossenen Garage stand.«
Yoshihara nickte. »Also haben sie ihm Sauerstoff gegeben.«
»Und er ist gestorben«, sagte Jameson.
»Und das Wetter in Los Angeles an jenem Tag?« fragte Yoshihara.
Jameson lächelte dünn. »Fast perfekt. Santa-Anna-Bedingungen. Die Wetterberichte sprachen von kristallklarer Luft und einem Tag, wie
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