Hauch der Verfuehrung
er es sich vorstellte. Ihre Blicke trafen sich.
Einen langen Moment betrachteten sie sich - er suchte in ihren Augen nach einem Hinweis mädchenhafter Schüchternheit, mit der er eigentlich gerechnet hatte, doch keine Spur. Letzte Nacht hatte sie ihn ihren bloßen Busen sehen lassen, sich von ihm intim berühren lassen, sich unter ihm gewunden, während er sie zum Höhepunkt brachte; er hatte mehr als nur halb mit einem Rückzug gerechnet.
Stattdessen strahlte ihr die gewohnte Selbstsicherheit aus den Augen. Stetig, unerschütterlich und offenkundig. Sie standen nur wenige Fuß voneinander entfernt, doch um ihre Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns ... als wüsste sie, wonach er suchte, und genösse es, ihn zu verwirren.
Er schnaubte, dann beugte er den Kopf und küsste sie rasch. »Bleib so.« Ohne ihr noch einmal in die Augen zu sehen, ging er zu seinem Block und den Stiften.
Dieser Austausch bestimmte den Ton, der zwischen ihnen den ganzen Vormittag herrschte. Sie redeten miteinander, aber ihre Bemerkungen blieben leichthin, ihre Bedeutung oberflächlich; ihre eigentliche Kommunikation fand über Blicke und flüchtige Berührungen statt. Während sie durch die Gärten spazierten, waren sie beide nicht angespannt, sich aber des anderen bewusst - jedoch auch anderer Sinneswahrnehmungen um sie herum: der leisen Brise, der zärtlichen Strahlen der Sonne, des Duftes, der Farben und der sich wandelnden Schatten.
Der Gong zum Lunch ertönte und rief sie ins Haus zurück. Millicent kam zu ihnen; Barnaby war noch nicht zurückgekehrt, und Mitchel zog es vor, in seinem Büro zu bleiben.
Millicent erschien ein wenig abgelenkt. »Ich weiß nicht recht, wie wir am besten mit den Nachfragen umgehen«, erklärte sie.
Gerrard runzelte die Stirn. »Nachfragen?«
»Nun ...« Millicent machte eine Handbewegung. »Eine Leiche ist in den Gärten gefunden worden. Die eines jungen Mannes, der verschollen war und den wir fast schon als den Verlobten Jacquelines betrachtet haben. Es werden heute Nachmittag Scharen von Besuchern zu uns kommen, darauf kann man sich verlassen. Der einzige Grund, weshalb sie noch nicht da sind, ist, dass es vermutlich schon zu spät für einen Morgenbesuch war, als sie davon erfahren haben.«
Wie gewöhnlich hatte die Konzentration auf das Malen alle anderen Überlegungen verdrängt. Gerrard sah zu Jacqueline und spürte, wie sie sich zurückzog, sich hinter dem inneren Schutzschild verbarg, den sie sich für den Umgang mit der Außenwelt zugelegt hatte.
»Schaffen Sie das alleine?« Er schaute Millicent an. »Ich fürchte, ich benötige Ihre Nichte auch den restlichen Nachmittag. Ich muss die exakte Pose finden, ehe ich mit dem Malen beginnen kann - und es ist eindeutig unabdingbar, dass das Porträt unverzüglich fertig wird.«
Millicent dachte nach. »Eigentlich ist es vielleicht sogar besser, wenn Jacqueline nicht anwesend ist.« Entschlossen wandte sie sich an ihre Nichte: »Ich war nicht da, als Thomas verschwunden ist, daher ist es für mich einfacher, bei den Tatsachen zu bleiben, ohne etwas von den Spekulationen zur Kenntnis zu nehmen. Und wenn du nicht da bist, fällt es ihnen schwerer, irgendeine Anspielung auf deine Verwicklung zu machen. Nein, wirklich.« Sie nickte Gerrard zu. »Widmen Sie sich bitte auf jeden Fall dem Porträt. Ich kümmere mich unterdessen um die Gerüchteküche.«
Gerrard lächelte, schaute fragend zu Jacqueline.
Sie erwiderte seinen Blick mit stolz gerecktem Kinn, nickte dann aber. »Vielleicht hast du ja recht, Tante. Je weniger Gelegenheit sie haben, ihre irrigen Ansichten zu äußern, desto besser ist es.«
Aber als Gerrard Jacqueline wieder in die Gärten brachte, waren ihre Sorgen nicht verflogen. Er sagte nichts; ihre Geistesabwesenheit heute war nicht so schlimm, da er ja mehr mit ihrem Körper, ihrer Haltung und nicht ihrem Gesicht und ihrer Miene arbeitete. Die er inzwischen gut kannte, und was ihren Körper betraf ...
Ihre Abgelenktheit erwies sich sogar als hilfreich; sie erlaubte es ihm, sich auf ihre Figur zu konzentrieren, auf die Linien ihres Körpers, ohne dabei Erregung zu verspüren. Was ihn bei seiner Arbeit stören würde. Er führte sie in den Garten des Poseidon, brachte sie wieder neben dem rechteckigen Wasserbecken ein paar Schritte vor dem Eingang zum Garten der Nacht in Positur. Dann trat er ein Stück beiseite und skizzierte, aber nicht so sehr sie selbst - ihren Körper hielt er mit wenigen Strichen fest -, sondern mehr die
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