Hauch der Verfuehrung
Umgebung.
Mit der leichten Hand des Künstlers veränderte er die Perspektive, sodass Jacqueline im Eingang zu stehen schien, gleichsam davon umrahmt.
Das Nachmittagslicht war ideal, es beleuchtete den Eingang selbst, während alles dahinter in Schatten gehüllt blieb. Das Porträt würde die Szenerie im Mondlicht zeigen - das am schwersten zu verwendende Licht -, doch die Klarheit heute half ihm, alle Linien festzuhalten, die er brauchte - die Adern des Weinlaubes, jeden verschlungenen Trieb.
Sobald er Jacquelines Konturen auf dem Papier hatte, winkte er ihr, sich auf eine Bank in der Nähe zu setzen. »Ich arbeite jetzt am Hintergrund. Fürs Erste habe ich alles, was ich von dir brauche - du kannst dich ausruhen.«
Aus ihren nicht unbedingt erfreulichen Gedanken gerissen, zog Jacqueline die Brauen hoch. Sein Tonfall - er war eindeutig ganz Maler - klang fast so, als sei sie ihm im Weg. Nicht, dass es sie störte - sie hatte fast den ganzen Tag posiert. Also ging sie zu der schmiedeeisernen Bank vor der dicht bepflanzten Gartengrenze und ließ sich darauf sinken. Sie beugte sich vor und musterte ihn.
Sie hätte gedacht, dass sie sich in Gedanken weiter damit beschäftigen würde, wie es Millicent wohl im Salon gerade erging und wie die Einstellung der Damen war, die zu Besuch da waren. Sie befürchtete stark, dass sie es bereits wusste: Sie würden glauben, sie sei auch an Thomas’ Tod schuld. Die Idee schmerzte sie fast so sehr wie damals die Erkenntnis, nachdem sie aus der Trauer um ihre Mutter aufgetaucht war, dass alle meinten, sie habe ihre Mutter getötet.
Solche Überlegungen kamen ihr zwar, aber solange sie Gerrard anschaute, vermochten sie sie nicht wirklich zu fesseln. Stattdessen drehten sich ihre Gedanken um ihn - nicht nur um letzte Nacht und die Lust, die er ihr gezeigt hatte, auch nicht um seine offensichtliche Erwartung, dass sie jetzt Anfälle von mädchenhafter Scheu an den Tag legen müsste oder ihr Handeln gar bereuen, was sie beides nicht tat; ihre Gedanken drehten sich um ihn, ihn allein.
Die Konzentration auf seinem Gesicht, in seiner Haltung, und die Aura immenser Energie, die er in sein Werk einfließen ließ, waren faszinierend zu beobachten. Zuzusehen, wie er sie bei der Ausarbeitung des Porträts für sie einsetzte, das er seinen eigenen Worten nach als Mittel sah, um sie aus ihrem seltsamen Gefängnis zu befreien, bewegte sie zutiefst.
Es war in gewisser Weise, als sähe sie den Ritter ihrer Gunst beim Turnier seine Waffe schwingen; wie jedes Edelfräulein aus früheren Zeiten konnte sie den Blick nicht abwenden.
Schließlich warf er einen letzten Blick auf seine Skizzen. Seine Inbrunst hatte nachgelassen; sie spürte, dass er zufrieden war mit dem, was er erreicht hatte.
Sie fühlte sich in Versuchung geführt, doch nachdem sie gewarnt worden war, bat sie nicht darum, sehen zu dürfen, was er gezeichnet hatte.
Als hätte er ihre Gedanken vernommen, sah Gerrard sie an. Er überlegte, dann nahm er seine Stifte, steckte sie sich in die Tasche und kam zur Bank.
Er nahm neben ihr Platz, blickte ihr ins Gesicht und dann nach unten; er öffnete seinen Block. »Ich möchte dir zeigen, was mir vorschwebt, woran ich arbeite.«
Verwundert starrte sie ihn an. »Ich dachte, du zeigst niemals und niemandem deine Arbeit, ehe sie fertig ist?«
Seine Lippen wurden schmal, aber seine Stimme blieb gleichmäßig, wenn auch ein wenig gereizt. »Gewöhnlich tue ich das auch nicht, aber in deinem Fall ist es anders; du besitzt genügend Kunstverstand, um zu sehen, was ich sehe und einzufangen versuche.«
Sie betrachtete sein Profil, dann rutschte sie zu ihm und schaute auf den Skizzenblock. »Was also willst du einfangen ...«
Sie brach ab, als er es ihr zeigte. Das erste Blatt enthielt eine ganz grobe Skizze - sie, am Eingang des Gartens der Nacht. Das nächste zeigte Einzelheiten des Zugangs, dann kamen diverse Studien des aus Ranken geformten Bogens, und darauf folgte noch ein Set mit verschiedenen Elementen und Aspekten.
Es war offenkundig, warum er gewöhnlich keine Skizzen aus diesem Stadium seiner Arbeit zeigte; sie war berührt von dem Vertrauen, das er ihr damit bewies; er glaubte wirklich, sie würde alles richtig deuten, er traute ihr zu, alle Skizzen zu einem Bild zu verschmelzen, sich eine Vorstellung von dem Endergebnis machen zu können.
»Ich, wie ich dem Garten der Nacht entkomme.« Das einfach nur auszusprechen genügte, dass sie die Macht hinter dem Konzept spürte. Sie
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