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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Wir könnten uns höchstens draußen in einem Gebüsch verkriechen.
    »Meine Pause ist vorbei.« Ich ließ das Handtuch los und ging grußlos an Fritz vorbei.
    Nach dem Essen verging die Zeit ein bisschen schneller. Erst der Feierabend ließ die Gedanken wieder anschwellen. Was sollte ich tun? Erstmal nach Hause, Frau Bergmoser für ihr Gulasch loben und mindestens einmal Nachschlag nehmen. Mich ausruhen, Radio hören oder noch einmal fortgehen, sie in dem Glauben lassen, ich hätte eine Freundin, während ich in den Räumen des ›Vereins Humanitäre Lebensgestaltung‹ tanzte oder mir in einer dunklen Ecke einen Teil dessen holte, was ich mir von Darius wünschte? Sollte ich Fritz noch eine Nachricht zustecken, laut der wir uns außerhalb der Sichtweite des Theaters in irgendeinem Winkel treffen könnten? Oder Darius besuchen?
    Nein. Ich verzehrte mich nach ihm, aber ich wollte ihn nicht sehen. Den nächsten Schritt musste er machen – so dachte ich.
    Ich ging weder über den Platz noch abends aus, sondern vergrub mich bei den Bergmosers, spielte mit ihnen Poch und gewann. Glück im Spiel …
    Kein Traum überschattete die nächste Nacht, kein Fritz den nächsten Tag. Nach dem gedrucksten Gespräch auf der Toilette schien er mir auszuweichen. Obwohl mein Chef wieder da war, half ich weiter beim Bühnenbau. Dort waren Arbeiter krank geworden und ich wurde gebeten, auszuhelfen. Praktische Arbeit schade nicht, sagte mein Chef und sagte in meinem Namen zu. In der Tat bekam ich einen besseren Eindruck davon, wie variabel die Gestaltungen ausfallen mussten, damit die verschiedenen Bilder schnell auszutauschen waren, ohne den Spielbetrieb aufzuhalten und die Umbaupausen in die Länge zu ziehen. Meine Arbeitszeit wurde in die Abendstunden verlegt, sodass ich während der Aufführungen tätig war. Minutiös geplante Handgriffe ließen keinen Raum für trübe Gedanken, merkwürdige Hoffnungen oder verwirrte Gefühle. Die Arbeit ließ keine Zeit für Tanzabende oder flüchtige Bekanntschaften. Darius wurde gedanklich zu dem, was alle waren, die ich auf dem Gärtnerplatz kennenlernte. Ein Vergnügen. Die Kürze der Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, ermöglichte es mir, schnell Abstand zu gewinnen, ohne mich in Gefühle zu steigern. Die Nacht der Albträume war ein kurzes Fieber gewesen, das schnell wieder abkühlte. Nur manchmal trat eine kurze Melancholie auf wie ein Niesen durch Staub in der Nase oder wie ein Husten, um den Schleim nach einer Zigarette loszuwerden.
    ›Ich brauche die frische Luft‹, redete ich mir ein, deshalb gewöhnte ich mir an, nach den Aufführungen nicht den direkten Weg nach Hause zu gehen, sondern den riesigen Umweg über die Wittelsbacher Brücke. Manchmal bog ich danach gleich ab und ging durch den Stadtkulturgarten an der Isar entlang zur Ohlmüllerstraße, meistens jedoch führte mich mein Weg durch die Humboldt- und die Entenbachstraße. Jedes Mal erfasste mich Unruhe, jedes Mal schaute ich von der gegenüberliegenden Straßenseite auf die Fenster von Darius’ Wohnung und sah, ob Licht dahinter brannte, ob die Gardinen zugezogen waren. Mein Herz klopfte immer etwas schneller, wenn die Wohnung nicht erleuchtet war. Bei Licht oder zugezogenen Vorhängen fragte ich mich nie, wer da jetzt an meiner Stelle war, aber bei Dunkelheit bestand die Möglichkeit, ihn zu treffen. Wenn er zu Hause zu sein schien, setzte ich meinen Weg über die Entenbachstraße fort, wenn nicht, kehrte ich um, weil es mir wahrscheinlicher schien, dass er vom Gärtnerplatz kommen müsste, als irgendwo anders her. Ich habe natürlich nicht gehofft, ihn zu treffen.
     

5.
     

    Jahrzehnte lang habe ich davon gelebt, Darius unsterblich zu machen. Wie viele Bilder mit seinem Konterfei, seinem Körper wurden in meiner Galerie verkauft? Wie viele Bilder, auf denen er immer zwanzig Jahre alt blieb. Und in gewisser Weise hat seine Jugend mir gedient, mich unsterblich zu machen. Hat er die Bilder nie gesehen, hat er nie in der Zeitung von mir gelesen?
    Er hätte sich für Malerei interessieren müssen. Der Kunst kann man sich entziehen. Nur wenige Maler sind Medienstars geworden. Einige, wie Beuys, weil sie mit den Medien spielten, andere, wie Janson, weil sie sich ihnen beharrlich entzogen. Ich fand höchstens mal im Feuilleton Erwähnung, aber in den schwulen Kneipen und Bars galten meine Bilder und meine Galerie lange als Geheimtipp, der flüsternd weitergegeben wurde.
    »Was meinst du?«, frage ich. Eine dumme Frage,

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