Haus der Jugend (German Edition)
tötete das Geräusch mit einem Schlag auf den Knopf, schaute auf den Teppich zu dem Blatt Papier, eine alte Zeichnung von einem perspektivischen Tor, die ich mal gemacht hatte.
Frau Bergmoser klopfte und brachte mir heißes Wasser in einer Schüssel. »Jetzt, da Sie eine Freundin haben, müssen Sie ja immer gut rasiert sein.«
Ich dankte ihr.
»Möchten Sie ein Ei zum Frühstück?«
Ich nickte, wartete, bis sie draußen war, wusch mich und zog mich an.
Eine Nacht die Zufriedenheit des stillen Glücks, einen Tag Aufruhr der Erwartungen, die Ungeduld, Darius wiederzusehen. Schon am nächsten Tag Enttäuschung und Angst – die Unruhe lag schwer im Kopf, lähmte. Die Arbeit floss nicht, sondern ging mühsam vonstatten, die Minuten krochen.
Fritz hatte mehr zu tun, lungerte nicht so häufig im Flur. Sein Meister jagte ihn die hohen Leitern hinauf, die Strahler für die abendliche Aufführung zu richten.
Er war mit einer anderen Oper beschäftigt als ich.
Mein Chef war bei einer Besprechung, zu der er mich nicht mitgenommen hatte. Mich hatte er in die Tischlerei geschickt, ich müsste die praktische Kunst lernen, das schnöde Handwerk, welches die Ideen umsetzte, die das Genie ersann.
Bühnentüren schleifen, Kulissen reparieren, ausbessern, was durch den Gebrauch verschlissen war. Bühnenhaken in den Boden und an die Stützstreben der Wände bohren, fest genug, damit es hält, locker genug, am Abend die Umbauten schnell zu bewerkstelligen. Schwielen an den Händen, Schmerzen, ausreichend zu tun, um nicht immer nur an einen zu denken.
Frühstückspause, in körperlicher Anwesenheit mitlachen, während die Gespräche vorbeisickerten, hören, ohne aufzunehmen, sich nichts merken – das Gleiche mittags.
Ich vergaß sogar, Fritz auszuweichen, ging arglos zur Toilette, stand gerade vor dem Urinal, als er um die Ecke kam. Er blieb stehen, sah auf meinen Strahl, druckste herum, schwieg wie immer.
Sollte er doch gucken, solange er dabei Abstand hielt und mich nicht in Bedrängnis brachte. Mein Chef war zwar nicht da, aber im Theater wollte ich auf keinen Fall entdeckt werden. Von niemandem.
Fritz war die Sehnsucht anzumerken, die er bisher nur ängstlich mit sich getragen hatte.. Er kannte die stillen Gesten nicht, mit denen man sich einigte. Er lungerte abwartend darauf, dass ich auf ihn einginge. Seine Atmung war unruhig und gehetzt, fast hechelnd. Er hatte die Hände in seinen Hosentaschen, stand an die Wand gelehnt, als wollte er sich den Anstrich von Lockerheit geben. Aber er war nicht locker.
Ich spürte seinen Blick, als ich die letzten Tropfen abschüttelte, als ich meinen Penis verstaute, die Knöpfe meines Hosenschlitzes wieder schloss und zum Waschbecken ging, um mir die Hände zu waschen. Ich spürte, dass er den Kopf drehte und ich sah im Spiegel sein Gesicht, die unruhig zuckenden Lippen, die fleischigen Wangen, die ausgedrückten und vernarbten Pickel. Sein Haar war fettig oder etwas feucht vom Schweiß der anstrengenden Arbeit.
Er kam auf mich zu, während ich mir die Hände abtrocknete, beugte sich über das Waschbecken, ohne Wasser laufen zu lassen.
»Machst du es auch mal mit mir?«
Ich schüttelte den Kopf, erst dann überlegte ich, so zu tun, als verstünde ich ihn nicht und zuckte kurz mit den Schultern.
»Die fremden Männer draußen auf dem Platz. Machst du auch mal mit mir, was du mit denen machst?« Er wurde lauter, eindringlicher, so wie Menschen, die sich nicht verstanden fühlen.
»Psscht«, sagte ich.
Fritz zuckte zusammen. »Du gefällst mir«, flüsterte er. »Und seit du das neulich gesagt hast, träume ich davon. Ich möchte mal erleben, wie es ist.« Er unternahm keinen Versuch, mir näherzukommen, in mein Ohr zu flüstern. Er wahrte den Abstand, hatte eine Hand immer am Wasserhahn, bereit, den sofort aufzudrehen, sollte jemand kommen.
»Warum gehst du nicht selbst über den Platz?«, flüsterte ich zurück. Meine Hände waren längst trocken, aber ich hielt das Handtuch fest.
»Ich trau mich nicht.«
»Hier ist es noch gefährlicher. Wir werden beide unsere Arbeit verlieren, wenn jemand davon erfährt.«
Fritz nickte. »Da habe ich schon mal die Chance und es klappt trotzdem nicht.«
Er tat mir leid, so leid, dass ich im Kopf sogar nach einer Möglichkeit suchte. Das Theater schied aus, mein Zimmer schied aus. Sein Zimmer … Wie alt war er überhaupt? Er war Lehrling, also sicher unter zwanzig. Bestimmt lebte er noch bei seinen Eltern. Das schied also auch aus.
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