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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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wieder zu schließen, so zu tun, als wäre ich nie da gewesen. Mein Chef war so beschäftigt, er hätte es gewiss nicht bemerkt. Der Tisch, an dem ich normalerweise arbeitete, war leer gefegt, die Utensilien lagen auf dem Fußboden verstreut. Das Holz diente als harte Unterlage für einen entblößten Frauenhintern. Mein Chef stand mehr vor ihr, als auf ihr zu liegen. Die Hose hing ihm um die Kniekehlen, die Arschbacken schwappten bei jedem der rhythmischen Stöße, mit denen er seinen Unterleib in den der Frau rammte.
    Ich konnte kein Gesicht sehen. Von meinem Chef sah ich nur die Rückenansicht, von der Frau nur die Beine und langes dunkles Haar, das über die Tischkante fiel.
    Beide stöhnten.
    Ich stotterte: »Oh. Entschuldigung.« Zwei Wörter, bevor ich die Tür wieder zumachte und zurück zur Bühne ging. Zwei Wörter, bevor ich beschloss, ich könnte mein Anliegen auch später vortragen. Zwei Wörter zu viel.
     

    Den Feierabend konnte ich kaum erwarten. Die abendliche Aufführung schleppte sich dahin. Es war einer dieser Abende, an denen Beifall allenfalls höflich ist. Die Anstrengung war auf der Bühne genau so spürbar wie im Publikum. Die Chemie stimmte nicht. So als hätte man bei Wunderkerzen das Eisen vergessen. Die Kerzen verbrannten, aber es fehlte die Funken sprühende Magie, die den Abend unvergesslich machte. Jedenfalls für die Schauspieler auf der Bühne, die sich immer mehr mühten, da sie die Reaktionen des Publikums vermissten, die Lacher, den Zwischenapplaus. Und für das Publikum fehlte der Zauber, weil es die Arbeit spürte, so als wären die Eisenstücke zu schwer, um als Stern in die Luft zu springen und dort zu verglühen.
    Der Abend brannte langsam ohne Funken, wie eine Wunderkerze ohne Wunder. Die Handgriffe für die Umbauten konnte ich zum Glück schon routiniert erledigen, ohne den Geist zu betätigen. In meinem Kopf schwirrten Gedanken wie lästige Fruchtfliegen. Die Bedrohung durch Fritz, die verpasste Chance, meinen Chef zu warnen, die Peinlichkeit der Entdeckung, die Freude darauf, Darius zu sehen – alles entwickelte sich zu einer merkwürdigen Melange aus Erwartung und Angst. Anspannung, die mich frieren ließ. Hätte nicht der Arbeitsablauf schützend die Kontrolle übernommen, hätte ich mit den Zähnen geklappert, und gespürt, wie sehr das Klopfen meines Herzens meinen Körper vibrieren ließ. Ich konnte nichts tun, außer zu funktionieren und abzuwarten, bis der Spuk vorbei war.
    Den Weg zu Darius rannte ich. Ich wollte die Gefühle trennen, der Angst davon laufen, der Freude entgegen. Der frostige Wind brannte an meinen Händen, in meinem Gesicht und in meinen Lungen. Meine Füße waren taub, der Dufflecoat drückte meine Schultern nieder. Jeder Schmerz war gut, denn er vertrieb die Fruchtfliegen in meinem Schädel. Völlig außer Atem klingelte ich, stützte mich anschließend auf den Knien ab, hechelte, als könnte ich dadurch die restlichen Gedanken entsorgen, und wartete auf das Licht im Treppenhaus.
    Es kam kein Licht. Ich wollte mich gerade aufrichten und noch einmal klingeln, als ich einen Schlüssel hörte. Die Tür knarrte leicht.
    »Pscht.« Darius legte gleich den Finger vor den Mund. Er beugte sich an mein Ohr und flüsterte: »Zieh am besten die Schuhe aus, dann kommen wir leiser durchs Treppenhaus.« Wie Diebe schlichen wir durch die Dunkelheit. Angesichts der Stille kam mir meine Atemlosigkeit vom Laufen wie ein Orkan vor.
    Aus dem Flur von Darius’ Wohnung drang Licht ins Treppenhaus. Darius huschte mit mir hinein, schloss die Tür hinter sich und half mir wie einer Dame aus dem Mantel.
    »Schön, dass du noch gekommen bist.«
    Erst jetzt sah ich, dass er einen Schlafanzug und einen Bademantel trug.
    »Habe ich dich geweckt?«
    Während aller Spaziergänge hatte ich immer nach Licht hinter seinem Fenster geschaut. An diesem Abend hatte ich es vergessen. Zum Glück.
    »Nein.« Er hängte meinen Mantel auf und ging in die Kochecke seiner Wohnung. Der Kohleofen verbreitete angenehme Wärme. Der Herd war aus. Darius bückte sich, reinigte ihn und entfachte ein Feuer. Ich füllte ohne zu fragen den Wasserkessel und stellte ihn auf den Herd.
    »Aber du warst schon im Bett?«
    »Ich wollte gerade. Ich hatte nicht mehr mit dir gerechnet.«
    »Da habe ich ja richtig Glück gehabt.«
    Den Tee, den ich bei meinem letzten Besuch mitgebracht hatte, fand ich im Küchenschrank. Ein Tee-Ei in einer der Schubladen. Ich bereitete die Kanne vor, während das Feuer im

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