Haus der Jugend (German Edition)
Geld.«
Im Untergrund gab es feinnervige Informationssysteme. Nachrichten und Stimmungen breiteten sich wie Gerüchte über die Büsche, die öffentlichen Toiletten und die in Hinterzimmern versteckten Tanzsäle aus. Wir lebten damals im Untergrund. Tagsüber gingen wir bürgerlichen Tätigkeiten nach, studierten oder verdienten unseren Lebensunterhalt, lebten in möblierten Zimmern, die uns sofort gekündigt werden konnten, wenn der Verdacht bestünde, wir wären ›vom anderen Ufer‹. Gleichzeitig verboten die Vermieter dieser Zimmer Damenbesuche, Herrenbesuche aber nicht. Immer wieder hörte man als Echo von den Kacheln und als Wispern der Blätter Geschichten über Denunziationen. Männer wurden in ihrem Zimmern belauscht, ausspioniert, überwacht und anschließend verpfiffen und angezeigt, wenn sie sich nicht ›an die guten Sitten‹ hielten.
Wir lebten im Untergrund. Nicht in einem romantischen Untergrund politischen Kampfes, in dem man für Ideale einsteht, nicht im Untergrund einer künstlerischen Subkultur, die sich kommerziellen Interessen widersetzte. Wir lebten im kriminellen Untergrund. Unser Verbrechen war es nicht, zu lieben. Das wäre zu kitschig, der Sex hatte in den wenigsten Fällen mit Liebe zu tun. Unser Verbrechen war es, Lust zu verspüren.
Wo man sich versteckt, weil man sich verstecken muss, wo man sich tarnt, weil man sonst ins Gefängnis kommen kann, wo man Geheimnisse in stiller Übereinkunft bewahren muss, weil berufliche Karriere und Lebensgrundlage davon abhängen, sind Profiteure nicht weit. Wo die Art zu empfinden schon ein Verbrechen darstellt, das im Strafgesetzbuch erfasst ist, gibt es Menschen, denen es die bürgerliche Pflicht befiehlt, zu denunzieren, die für Sitte und Anstand auch ihre eigenen Kinder anzeigen. Es gibt immer Menschen, die aus den dunklen Geheimnissen Kapital schlagen wollen.
Das war während des Nationalsozialismus’ so und es wurde danach nicht besser.
Und so flüsterten die Kacheln der Toiletten, die Blätter der Büsche am Gärtnerplatz und die Tische in den Hinterzimmern des Vereins für humanitäre Lebensgestaltung immer häufiger die Warnungen vor Erpressern.
Meistens handelte es sich dabei um junge Männer, die zunächst ihren Spaß hatten und hinterher daran verdienen wollten. Wo immer wir uns mit jemandem trafen, in welches Gebüsch wir uns verkrochen, mit wem wir unsere Lust befriedigten, die Angst war immer dabei. Ausgerechnet unter Gleichgesinnten mussten wir uns am meisten verstecken. Unsere Vermieter, unsere Arbeitgeber durften unsere Namen kennen, unseren Wohnort, unsere Steuernummer, die Musik, die wir gern hörten und bis auf verständliche Ausnahmen die Bücher und Zeitungen, die wir lasen. Sie durften nur nichts über unsere Vorlieben wissen. Das war machbar. Beim Sex wiederum teilten wir die verbotene Lust, ergötzten uns an unseren Unterleibern, sahen in das vom Orgasmus verzerrte Gesicht, hörten das Keuchen der Erregung, aber wenn wir Namen und Adresse verrieten, brachten wir uns in Gefahr. Über die Lust zu dem Vertrauen zu kommen, das Liebe auszeichnet, war riskant. Dass Darius es trotzdem mit mir gewagt hatte, und ich es mit ihm, machte schon unsere erste Nacht zu etwas Besonderem. Sie war es ohnehin, dadurch wurde sie aber noch wertvoller.
Ich hatte die Warnungen der Kacheln und Gebüsche längst gehört. Aber ich hielt mich für immun. Meine Vermieter waren lieb und naiv, die konnte ich belügen, die flüchtigen Partner erfuhren über mich so wenig wie ich über sie, Darius würde mich bei niemandem verraten, dazu war es zu schön zwischen uns, an meiner Arbeitsstelle wussten alle über mich Bescheid. Ich war nicht zu erpressen – dachte ich.
Ich verharrte und schwieg. Ich schaffte es nicht, mich zurückzulehnen. Ich schaffte es nicht, zu antworten oder Fragen zu stellen. Den Rauch meiner Zigarette konnte ich ausatmen. Auch konnte ich einen neuen Zug nehmen und den wieder ausatmen. Die Glut breitete sich aus, die Züge nahm ich zu schnell hintereinander. Fritz lehnte sich zurück, grinste zunächst, doch mit jedem Zigarettenzug wurde sein Gesicht ernster, seine Mimik fahriger.
»Sonst …?«, fragte ich, nachdem ich die Zigarette ausgedrückt hatte.
Die Frage brachte wieder ein bisschen Sicherheit in Fritz’ Gesichtszüge, seine Mundwinkel bewegten sich wieder leicht nach oben. »Sonst erzähl ich deinem Boss, du hättest es bei mir versucht.«
Während Fritz versuchte, maliziös zu lächeln, dabei unruhig
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