Haus der Jugend (German Edition)
mit den Augen blinzelte, überlegte ich.
›Sollte ich was mit jemandem hier anfangen, würde mir gekündigt.‹ Das hatte mein Chef unmissverständlich klar gemacht. Würde mir gekündigt, könnte ich mein Studium nicht antreten, mein Zimmer nicht mehr bezahlen, müsste vielleicht zu meiner Mutter und Theodore zurück. Kurz hatte ich den Gedanken, ich könnte dann zu Darius, die vertrackte Sehnsucht, mit ihm zusammenzuleben wie Mann und Frau. Aber natürlich war das nicht möglich. Hatte er mir nicht gesagt, er wäre ängstlich? Mehr noch als die Konsequenzen schmerzte mich das Gefühl, alle würden Fritz glauben.
Wie viel Stärke konnte ich mir leisten? Alle Argumente, die in meinem Kopf ratterten, flüsterten: »Es ist besser zu zahlen.« Die Wut in mir schrie dagegen an. Vielleicht war ich ungerecht, als seine Feigheit mich wütend gemacht hatte, jetzt aber bebte ich innerlich vor Zorn. Zorn, der mich befähigte, Fritz’ Blick nicht auszuweichen. Ich sah das flackernde Grinsen, das mit jeder Sekunde, die ich wartete, mehr in sich zusammenfiel. Ich sah die Pupillen, die meiner Musterung entfliehen wollten. Fritz konnte die Schultern nicht gerade halten. Eingesackt saß er auf dem Stuhl und bemühte sich, mir den Eindruck zu vermitteln, er kenne keine Gnade. Aber er sah dabei so jämmerlich aus wie eine schmutzige Unterhose.
›Ich könnte gleich zu meinem Chef gehen‹, überlegte ich. ›Wenn die feige Ratte mich denunzieren möchte, soll sie das tun. Aber mein Chef wird es schon wissen.‹
Erst, als ich laut und deutlich Nein sagte, merkte ich, dass ich schon die ganze Zeit den Kopf geschüttelt hatte. Es dauerte eine Weile, bis das Grinsen aus Fritz’ Gesicht verschwand. Wie bei einem Bühnenscheinwerfer, der noch ein bisschen nachglüht, wenn man ihn abgeschaltet hat.
»Nein?«, fragte er nach und ich wusste nicht, ob er zitterte oder stotterte.
»Nein.«
»Du wirst sehen, was du davon hast.« Es klang, als hätte er den Satz aus einem Kriminalfilm gelernt. Die Stimme versagte ihm, er räusperte sich mitten im Satz.
Ich stand auf. »Bevor wir weiter arbeiten, muss ich noch zu meinem Chef.« Eine Drohung sprach ich nicht aus. Aber Fritz wurde so blass, als wäre es eine. Auf einmal schien er sich nicht mehr so sicher, wem man glaubte. »Was willst du von ihm?«
Ich sah ihn einmal von oben bis unten an und ging.
Die Kacheln der Toiletten und die Blätter der Büsche flüsterten nicht nur, sie riefen wie Marktschreier, dass, wer einen Erpresser bei der Polizei anzeigte, für sein eigenes Vergehen nach dem Paragraf 175 straffrei ausginge.
Schöne Worte, deren Echo weniger vertrauensvoll klang. Wer einen Erpresser anzeigte, lieferte Informationen. Wo trafen wir uns, in welchen Kneipen, an welchen Plätzen, auf welchen Toiletten? Wo befriedigten wir unsere verbotene Lust?
Despoten und Diktaturen überlassen nichts dem Zufall. Das Ohr an Volkes Stimme, denn das Volk ist der Feind. Eine Form von Feindesliebe, die ganz nah kommt, um die Kontrolle zu behalten. Überwachung, Bespitzelung und Denunziantentum dienen der Machterhaltung. Um den Staat zu schützen werden verdeckte Ermittler und stille Beobachter eingeschleust. Die junge Demokratie arbeitete schon wie ihre Amtsvorgängerin. Als sabotierten wir in unserer Zügellosigkeit die Familie als Keimzelle des Staates so nachhaltig, dass wir die Demokratie zersetzten. Als könnte man Gefühle per Recht und Ordnung verhindern.
Natürlich hätte ich zur Polizei gehen können. Es war, außer einem leichtsinnigen Bekenntnis während einer Diskussion, nichts passiert, was mich erpressbar machte. Es gab keine Treffpunkte, die ich verraten konnte, keine Geschehnisse, die Rückschlüsse über unsere Organisationsstrukturen erlaubten. Als ob die Homosexuellen damals schon organisiert gewesen wären. Sie wären alle Freunde des Staats gewesen, hätte man sie nicht in den Untergrund kriminalisiert.
Mein Vertrauen zur Polizei hielt sich in Grenzen. Ich hielt es für ausreichend, meinen Chef aufzusuchen, ihm zu erzählen, was mir gerade widerfahren war. Das wäre der Vorteil von Offenheit, dachte ich. Sie verführte Fritz, das Gewicht unserer Glaubwürdigkeit falsch einschätzte – hoffte ich.
Ich ging durch die Flure des Theaters in den Verwaltungstrakt und klopfte an der Bürotür meines Chefs, bevor ich eintrat. Es war auch mein Büro, warum hätte ich darauf warten sollen, dass er »Herein« sagte?
Vielleicht wäre es geschickter gewesen, die Tür gleich
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