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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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gehofft, mich zu irren. Die Zukunft ist sehr unzuverlässig.«
    Ich stellte die Tasse auf den Tisch, sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Du hast dich nicht geirrt. Es spielte nicht einmal eine Rolle, ob wirklich etwas geschehen ist.«
    Darius nickte. »Notfalls sagen sie uns, wir stiften Unfrieden.«
    Ich nahm zwei Zigaretten aus der Schachtel, steckte ihm und mir eine an. Wortlos rauchten wir, wortlos tranken wir die Tassen leer. Darius streichelte meinen Rücken. Mehr passierte nicht.
    »Was machst du jetzt?«
    Lange, nachdem die Glut im Aschenbecher verqualmt und der Kaffee in der Kanne kalt geworden war, verschaffte Darius der Frage Platz. Doch sie schuf nur neue Dunkelheit. Dass ich mit den Schultern zuckte, konnte er gut sehen. Ich saß aufrecht und angespannt auf dem Sofa, er zurückgelehnt, den Blick wohl nur auf meinem Rücken.
    »Gehst du zurück zu deinen Eltern?«
    Wieder zuckte ich mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich bin nicht mal in der Lage, mir Gedanken darüber zu machen.«
    Er nahm die Füße vom Tisch, trug die Kanne und die Tassen in die Kochecke, stellte sie ins Spülbecken. Wieder zurück setzte er sich auf meinen Schoß, streichelte mein Gesicht, fuhr mit dem Zeigefinger über meine Lippen, küsste mich, bis ich den Kopf zur Seite drehte.
    »Bitte nicht.«
    Sofort stand er wieder auf. »Hast du Hunger?«
    Ich schüttelte den Kopf. Wie hätte ich in dieser Situation ans Essen denken können?
    »Stört es dich, wenn ich mir etwas zu essen mache?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf. Zu einer anderen Bewegung schien ich nicht fähig zu sein. Er ging wieder in die Kochecke, holte Möhren und Kartoffeln aus dem Kühlschrank, putzte sie, schnitt sie in Scheiben und stellte zwei Töpfe mit Wasser und einen Kessel auf den Kohleherd. Stumm sah ich ihm von der Couch aus zu. Stumm und leer. Von mir aus hätte das Leben so stehen bleiben können, von mir aus hätte irgendjemand in diesem Moment alle Zeit anhalten können, nur, damit sich mir das schwarze Loch Zukunft nicht näherte. Schon der Gedanke an mein Zimmer war unerträglich, schlimmer der an die Bergmosers, daran, was ich ihnen sagen sollte.
    Noch gar nicht bereit war ich für die Gedanken an meine Mutter und Theodore. Sie hatten mit mir auf den Studienplatz gehofft, mit mir gezittert. Sie hatten sich bereit erklärt, mich zu unterstützen, wenn ich neben dem Studium arbeitete. Und sie hatten mich großgezogen.
    »Ich konnte mir für die nächste Woche freinehmen. Wenn du möchtest, fahren wir zusammen ins Allgäu und du denkst erst einmal in Ruhe nach.« Nur sehr schwerfällig bekam ich mit, dass Darius etwas gesagt hatte, der Inhalt sickerte noch träger in meinen Schädel. Erst als er nachfragte: »Hast du mich gehört?«, begriff ich ihren Sinn.
    »Ich habe gerade meine Arbeit verloren. Ich kann doch keinen Urlaub machen.«
    Darius sah schon wieder auf den Herd, das Wasser im Kessel dampfte, in eine Schale hatte er zwei Bratwürste gelegt, die er damit überbrühte.
    »Du kannst natürlich auch irgendwo sitzen und Löcher in die Wände starren, wenn du dadurch eher auf eine Idee kommst«, sagte er, ohne den Kopf in meine Richtung zu drehen. Er stellte eine kleine Emaillepfanne auf den Kohleherd und ließ etwas Margarine darin aus. »Aber ich denke, es ist besser, Abstand zu gewinnen, in den Bergen dein Gehirn durchpusten zu lassen und so Platz für neue Gedanken zu schaffen.« Das heiße Fett zischte in der Pfanne, als Darius die leicht feuchten Würste hineinlegte. Während sie brutzelten, nahm er sich die Zeit, zu mir zu kommen und mir die Hand auf den Kopf zu legen. »Außerdem würde ich mich freuen, wenn du mitkommst.«
    Ich schwieg. Durch den Geruch des heißen Fetts und der Bratwürste bekam ich doch Hunger. Der Kaffee trieb und ich musste aufstehen, um meine Blase zu entleeren. Darius ließ mich vorbei und ging wieder an den Herd. Als ich von der Toilette zurückkam, hatte er zwei Teller, zwei Gabeln und zwei Messer auf dem Mosaiktisch gedeckt. »Vielleicht hast du ja doch Appetit.«
    »Danke.«
    Beim ersten Treffen hatten wir stilles Glück, ruhigen Sex und Spaß, beim zweiten Streit, beim dritten traute Gemeinsamkeit, die Sex überflüssig machte. Jetzt saßen wir in trauriger Schweigsamkeit beieinander und verkrampften beim Versuch, mich aufzuheitern. Ich war wie ein Käfer, der die erste Nacht erlebte und noch nicht wusste, dass es wieder ein Morgen gab. Eine Nacht in einem Käferleben musste endlos sein, wenn schon ein

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