Haus der Jugend (German Edition)
ausgekühlt dort, die Füße brannten eisig, wir froren, bis das Holz in Herd und Ofen es schaffte, uns wieder mit Wärme zu erfüllen. Die Dosensuppen, die wir dabei hatten, erfüllten ihren Zweck. Und wie auch immer sie wirklich schmeckten, mit Darius war es mir egal. Ich aß sie einfach. Wir hätten während der Rückwege unserer Touren einkaufen können, um etwas Ordentliches zu kochen, doch wir kamen gar nicht auf die Idee. Wir freuten uns auf die Suppen.
Abends, wenn wir gegessen hatten und uns wieder warm war, spielten wir Schach. Wir hatten unter dem Tresen ein altes Brett und einen Kasten mit Figuren gefunden, der offenbar während der Saison zur Zerstreuung an Gäste verliehen wurde.
Ich war ein schlechter Schachspieler. Egal, ob ich die weißen oder die schwarzen Figuren hatte, ich verlor immer. Darius konnte die Züge benennen, die er setzte, konnte vorausblicken, Konsequenzen erahnen, während ich einfach auf Geratewohl mit Bauern, Läufern und Türmen hantierte. Taktik war mir fremd. Schon mein Vater und Theodore waren daran verzweifelt, wenn sie mir das Spiel schmackhaft machen wollten. Ich fand es langweilig. Aber mit Darius machte mir das nichts aus. Wir mussten die Abende irgendwie verbringen, bis wir ins Bett gingen und miteinander schliefen.
Das taten wir jede Nacht, es war wie ein Ritual zum Einschlafen. Wir gingen nach oben, zogen uns aus, legten uns unter die warme Decke und rieben zärtlich unsere Körper aneinander. Es war kein wilder dreckiger oder leidenschaftlicher Sex, sondern stiller genügsamer. Immer getragen von Wärme, die wir austauschten und die nicht an der Haut stoppte, sondern in die Seele lief. So schön so berührend, so erfüllend, dass wir nicht daran dachten, etwas Schmutziges oder Verbotenes zu tun. Wer konnte etwas gegen diese Tiefe haben, gegen diese Wellen, die uns badeten und auf denen wir gefahrlos schwimmen konnten?
Eines Nachts hielt Darius für einen kurzen Moment in der Bewegung inne, wurde starr und reglos, sah mich an, als sähe er in mir einen Geist.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Nichts«, antwortete er, und als hätte ich ihn aus einer Absence gerissen, nahm er die Bewegung wieder auf, wurde wieder weich und anschmiegsam, bis ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
So tief, dass ich es nicht mitbekam, als Darius seinen Rucksack packte, sein Bett abzog und die Wäsche neben der Tür auf den Fußboden warf. So tief, dass ich die Schritte die Holztreppe hinab nicht hörte, die Geräusche, die beim Anfeuern des Ofens durch den Kaminschaft drangen.
In Filmen sieht man oft Szenen, in denen die Frau noch im Halbschlaf mit der Hand nach ihrem Partner langt, ohne hinzusehen. Die Hand wuselt über das Laken, tastet irgendwo im Vertrauten und reicht erst langsam die Information über die Leere ans Gehirn weiter: etwas fehlt.
Damals tastete ich nirgends. Das Sonnenlicht war schon weit ins Zimmer gedrungen, als ich erwachte, ich drehte mich langsam um, spürte die Wärme, die durch den Schornstein kam, und reckte mich in der Gewissheit, Darius wäre schon aufgestanden und hätte uns Feuer, Kaffee und Frühstück gemacht. Ich zog mich an, tappte die Treppe nach unten, ohne den Bettbezug auf dem Fußboden zu sehen.
Auf einem Tisch in der Gaststube standen Brot, Butter und Marmelade, eine Kaffeetasse, Geschirr und Besteck. Die Kaffeekanne fand ich in der Küche auf dem Herd. Von Darius keine Spur. Weder im Keller unter der Küche noch im Bad, weder in den Gästezimmern noch draußen fand ich ihn. Ich lief durchs ganze Haus, zog mir Schuhe an, blinzelte in die Sonne, die an diesem Donnerstag schien, und stapfte orientierungslos über den noch gefrorenen Boden. Wo sollte ich ihn suchen? Er war weg. Zwar hoffte ich, er wäre vielleicht nur in den Ort gelaufen, um etwas einzukaufen, aber ich war sicher, er würde nicht wiederkommen, auch wenn ich nicht wusste, warum.
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Es war, als wäre ich ein weiteres Mal entlassen worden. Ich fühlte mich, wie am Samstagabend, als ich bei Darius saß und nicht die geringste Idee hatte, was ich tun sollte. Die Ratlosigkeit trieb mich in die Hütte zurück, ließ mich die warme Kanne Kaffee vom Herd holen, mich in die Gaststube setzen und frühstücken. Enttäuschung und Wut drängten mich, hier alles stehen und liegen zu lassen, meine Sachen zu packen und zum Bahnhof zu laufen. Vielleicht würde ich ihn einholen, könnte ihn fragen, warum er so einfach gegangen war. Die
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