Haus der Jugend (German Edition)
unwichtig und können sich nicht mit Grübeleien und Spekulationen füllen. Es kommt ohnehin, wie es kommt. Als ich nach Hamburg kam, die kleine Galerie übernahm, im Hinterzimmer eine Staffelei und Farben, als ich dort die ersten Bilder malte – bei elektrischem Licht – da hatte ich dieses Gefühl des Einklangs. Mit dem Erfolg ist es verloren gegangen.
Erst, als ich das Geschirr abwasche und die vorbereiteten Ravioli in den Kühlschrank stelle, hält die Realität wieder Einzug. Ich schaue auf die Uhr. Eine Stunde muss ich noch totschlagen, bevor ich Darius abholen kann. Zeit für einen weiteren Kaffee.
Zeit für Gedanken, die ich alleine nicht lösen kann. Das Gefühl, ich müsste mit Darius etwas klären, ohne zu wissen, was es ist. Er möchte bei mir wohnen. Hatte ich mir das nicht gewünscht? Es sind meine Hoffnungen und Ängste, die sich fragen, wie er sich das vorstellt, was er möchte. Denn ich möchte ihn als Partner, als Freund, möchte das Bett mit ihm teilen, ihm dort mit meiner Haut meine Geschichten erzählen, möchte ansetzen, wo er mich vor fünfzig Jahren verlassen hat, als wären wir beide älter geworden.
Erst jetzt sehe ich, er hat seine Zigaretten auf dem Tisch liegen lassen. Ich zünde mir eine an. Wie dämlich ist es, mit siebzig Jahren wieder damit anzufangen? Der Geschmack weckt Erinnerungen an unsere Küsse, an die Abende, an denen wir zusammensaßen, an den Gärtnerplatz. Der Rauch, der aufsteigt und sich im Zimmer verteilt, trägt Darius’ Gesicht. Ich versuche, Kaffee und Zigarette zu genießen, mich zu freuen, Verbindendes zu sehen, aber ich stolpere immer über das Trennende, zappe lustlos durch grauenhaftes Fernsehprogramm, bleibe an einer Art Krimi hängen, die wohl dokumentarisch wirken soll und in der ein Sprecher nach der Werbepause aufreißerisch den Inhalt einer Viertelstunde wiedergibt, wahrscheinlich aus Angst, die Menschen könnten das belanglose Geschehen in der kurzen Zeit vergessen haben. Im Auto lasse ich mich von Musik berieseln, ohne sie wahrzunehmen, auf Titel oder Texte zu achten oder die Moderation zu hören. Nicht einmal das Schlagzeug, das die Nachrichten spannend machen soll, stört mich. An den Landungsbrücken suche ich mir einen Parkplatz, gehe auf den Ponton und atme das Aroma der Elbe ein. Gleich unterhalb des Pupasch bleibe ich stehen. Darius muss dort vorbei kommen, trotzdem habe ich Angst, ihn zu verpassen. Das Schicksal könnte uns noch immer wieder trennen. Damit ich ihn nicht übersehe, recke ich mich, stelle mich auf die Zehenspitzen, so gut ich es in meinem Alter noch kann, schaue über die Köpfe der Touristen hinweg. Trotzdem zucke ich zusammen, als mir jemand von hinten auf die Schulter fasst und »Hallo« sagt.
»Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken.« Darius’ Gesicht leuchtet. Seine Kleidung riecht ein bisschen nach Frittierfett und die Haut ist leicht gerötet, als wäre er durch die Kälte gelaufen.
»Ich hatte dich nur nicht gesehen.« Ich gebe ihm die Hand, doch er nimmt mich in den Arm.
»Wenn du so weit oben suchst, kann man gut darunter hindurchlaufen«, flüstert er wie ein Geheimnis in mein Ohr. Als junger Mann hätte ich ihm jetzt zum Spaß in die Rippen geboxt.
Das Radio bleibt aus, während wir nach Hause fahren. »Wie lange bleibst du in Hamburg?«, frage ich und versuche mich auf den Verkehr zu konzentrieren.
»Bereust du deine Zusage schon?«
»Eher habe ich Angst, du bist eines Tages wieder einfach verschwunden.« Ich beiße mir auf die Lippen. Der Satz kam zu schnell, um ihn zu unterdrücken. Ausgesprochen kommt er mir wie eine Kette vor, wie ein Schloss, dem Darius entfliehen muss, bevor es zuschnappt. Meine Fantasie martert mich mit Kitschantworten:
›Ich werde dich nie mehr verlassen, ich bleibe bei dir, wir gehören zusammen.‹
»Dein Misstrauen habe ich mir verdient.«
Schweigend fahren wir die Helgoländer Allee hoch. Es ist wie gestern.
Zwei Sätze.
Schweigen.
Zwei Sätze.
Schweigen.
»Vielleicht sollten wir erstmal klären, ob du einem alten Freund eine Unterkunft gibst, oder ob wir da ansetzen, wo wir vor fünfzig Jahren aufgehört haben?«
Eine Frage.
Schweigen.
Rentzelstraße.
Grindelhof.
»Was möchtest du?«, frage ich.
»Dich.«
Doch der amerikanische Film, doch der Kitsch aus Liebesromanzen, Rosamunde Pilcher für Schwule, passend zu Marilyn Monroe und Marianne Rosenberg, zu Dramaqueens und Zwergpinschern – Klischees, in die wir uns freiwillig begeben.
»Hast du mich
Weitere Kostenlose Bücher