Haus der Lügen - 8
... unangenehm dürfte das schon werden. Und dann: wenn er erst einmal weiß, was geschafft werden kann , wird er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das auch hinzubekommen . Er könnte zu rasch zu weit kommen, versteht Ihr? Ihr habt immer sehr darauf geachtet, nicht offen gegen die Ächtungen zu verstoßen. Aber ich muss sagen, Ahlfryd davon abzuhalten, etwas auszuprobieren, was eindeutig einen Verstoß gegen die Ächtungen darstellen würde, könnte sich als schwieriger erweisen, als Ihr vielleicht im Augenblick denkt. Und umgekehrt ist es auch ein Problem: Wenn wir es schaffen, ihn von so etwas abzubringen, dann wird er zepterunglücklich sein, wo er doch weiß, was er alles hätte bewerkstelligen können, wenn man es ihm doch nur gestattete!
Aber meine dritte und schwerwiegendste Sorge ist, wie er darauf reagieren wird, die Wahrheit zu erfahren. Wie wird er damit umgehen, zu erfahren, dass er schon sein ganzes Leben lang viel, viel mehr hätte schaffen können – Dinge in Erfahrung bringen, Dinge entdecken, Dinge einfach tun –, wenn es die Ächtungen der Jwo-jeng nicht gäbe ... und dass diese Ächtungen nichts anderes sind als ein gewaltiges Lügengebäude! Cayleb hat mir berichtet, die Bruderschaft habe sich Sorgen wegen seines ›jugendlichen Ungestüms‹ gemacht, wenn er die Wahrheit erführe. Na ja, Ahlfryd ist nun wahrlich kein ungestümer Jugendlicher mehr. Aber ich weiß wirklich nicht, ob er in der Lage sein wird, so zu tun, als kenne er die Wahrheit nicht, wenn man sie ihm erst einmal enthüllt hat.«
»Hmpf.«
Stirnrunzelnd blickte Merlin zur Sonne hinüber, die mit jeder Minute an Kraft gewann. Er wusste nicht genau, ob er Lock Islands Sorgen teilen sollte. Aber Lock Island kannte Seamount schon seit sehr, sehr langer Zeit. Ja, er kannte ihn länger – und besser – als jeden anderen in Caylebs Innerem Kreis.
»Von dieser Seite hatte ich es noch gar nicht betrachtet«, gestand der Seijin schließlich bedächtig. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen ganz zustimmen kann – was nicht heißt, dass ich Ihnen widerspreche! Ich muss nur erst ein wenig darüber nachdenken. Aber ich halte es für angebracht, dieses Thema Cayleb und Sharleyan gegenüber anzusprechen, bevor sie Baron Seamount die Wahrheit sagen.« Er verzog das Gesicht. »Ihnen ist aber wohl bewusst, dass es Sharleyan überhaupt nicht gefallen wird, falls wir uns letztendlich dagegen entscheiden, Seamount einzuweihen, oder?«
»Ach, glaubt mir, das weiß ich. Das weiß ich!« Nun war es an Lock Island, das Gesicht zu verziehen. »Und um ganz ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass ich es bedauern würde, wenn man mich in dieser Hinsicht überstimmen sollte. Gewiss, der Gedanke macht mir Sorgen, aber verdammt noch mal: Ahlfryd ist mein Freund . Ich will ihm ja die Wahrheit erzählen, Merlin! Ich denke nur, dass das etwas ist, das man sehr sorgfältig überdenken sollte.«
»Da gebe ich Ihnen sofort Recht!«, seufzte Merlin.
»Also werdet Ihr das Cayleb und Sharleyan gegenüber ansprechen?«
»Damit Sie das nicht ansprechen müssen, meinen Sie?«
»Also, eigentlich ... ja«, gestand Lock Island.
»Na, was denn, Herr Graf? Feigheit vor dem Feind ausgerechnet bei Ihnen?«
»Ja, leider«, gab der High Admiral sofort zu. Merlin konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
»Also gut. Ich mach’s ja! Maikel und ich müssen sowie noch mit den beiden über den Brief sprechen, den Rayjhis an Gorjah geschickt hat. Wir sind der Ansicht, es sei vielleicht ratsam, diesen Prozess ... öhm, ein wenig zu beschleunigen. Wahrscheinlich könnte ich Ihre Überlegungen in der mir eigenen, unnachahmlich diplomatischen Art dezent in das Gespräch einflechten. Andererseits ist Sharleyan natürlich schwanger , wie Sie wissen. Und im ganzen letzten Monat war sie schon deutlich reizbarer als sonst. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass sie nicht doch an die Decke geht, ganz egal, wie taktvoll ich vorgehe. Andererseits ...« Wieder lachte Merlin in sich hinein. »Ich bin ja immerhin ein paar Tausend Meilen weit entfernt. Also, falls Ihre Majestät es tatsächlich ... wenig begeistert aufnehmen sollte: ratet mal, wen von uns beiden sie zuerst in die Finger bekommt!«
.VII.
Erzbischöflicher Palast, Stadt Tellesberg, Altes Königreich Charis
»Der Bischof empfängt Sie jetzt, Pater.«
Pater Paityr Wylsynn blickte von seiner kleinen Ausgabe der Offenbarungen auf, die er in den Händen hielt. Lesend hatte er sich die Wartezeit vertrieben, bis Bischof
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