Haus der Schatten (Unheimlicher Roman/Romantic Thriller) (German Edition)
beide geschwiegen.
Vielleicht ist das falsch gewesen, dachte Francine jetzt. Vor allem nach diesem Brief, in dem ihr Vater sie bat, so schnell wie möglich nach Bangor zu kommen.
Er wollte sich mit ihr aussöhnen und hätte auch akzeptiert, dass sie ihren eigenen Weg ging, der so ganz anders war, als das, was ihr Dad sich für sie vorgestellt hatte.
Seltsam, dachte sie. Das klang alles so gar nicht nach ihrem Dad...
Aber vielleicht hatte er sich ja geändert und tatsächlich eingesehen, dass es nicht nur seine Sichtweise der Welt gab.
Francine studierte englische Literatur und würde eines Tages College-Lehrerin sein. Ihr Vater hingegen hatte immer gehofft, dass sie eines Tages ihren Platz in seinem Unternehmen finden würde - so wie John, der Dads Nachfolger hatte werden sollen.
Aber damit war es nun vorbei.
John war tot und für Dad bedeutete das, dass all das, wofür er sein Leben lang gearbeitet hatte, keine Zukunft hatte. Keine Zukunft über den Tag hinaus, an dem er die Augen schließen würde. Ich habe ihn sehr enttäuscht, dachte Francine, als sie den schweren Koffer nahm und die Bahnhofshalle von Bangor verließ. Ja, ich habe ihn enttäuscht und dennoch kam jetzt dieser Brief und dieses Angebot zur Versöhnung, nachdem wir jahrelang nicht miteinander gesprochen haben, ging es ihr noch einmal durch den Kopf. Bei dem Brief war auch ein Scheck gewesen, denn eine Reise von Kalifornien nach Maine war für eine Studentin, die sich mit Nebenjobs über Wasser hielt, ein ziemlich großer Brocken. Der Scheck bedeutete, dass das für sie nun kein Problem gewesen war. Er bedeutete aber auch, dass Dad es offenbar sehr ernst meinte... Vielleicht war er krank und wollte deshalb eine schnelle Versöhnung... Sie hatte nicht eine Sekunde überlegen müssen, um ihren Koffer zu packen und mit dem Flugzeug von San Francisco nach New York zu kommen. Und dann mit dem Zug weiter nach Norden, dem großen, düsteren Herrenhaus ihres Vaters entgegen, das irgendwo in der Nähe von Bangor lag.
"Francine?"
Es war eine dunkle Männerstimme, die da ihren Namen aussprach.
Francine Baily drehte sich herum und blickte in ein hartgeschnittenes Gesicht, in dessen Mitte zwei kalte graue Augen zu finden waren. Im ersten Moment erschrak sie etwas, aber dann entspannten sich Francines Gesichtszüge wieder.
"Du wirst doch nicht etwa behaupten wollen, dass du mich nicht mehr kennst", meinte der Mann und Francine versuchte ein Lächeln, das ihr allerdings nicht so recht gelingen wollte.
"Es war nur im ersten Moment...", begann sie und brach dann ab.
Natürlich kannte sie diesen Mann! Es war Mr. Colin Randolph, der Neffe ihres Vaters und seit vielen Jahren auch sein persönlicher Sekretär. Francine hatte Colin nie gemocht.
Sie wusste nicht recht, weshalb eigentlich.
Vielleicht lag es an der düsteren Ausstrahlung, die er hatte oder dem kalten Blick seiner grauen Augen, die alles zu durchdringen schienen.
Es war einfach ein Gefühl, das sie nicht näher erklären konnte.
"Ich bin mit dem Wagen hier", erklärte Colin mit bemühter Freundlichkeit und nahm ihr den Koffer ab.
"Wie geht es Dad?"
Colin zuckte mit den Schultern. Dann runzelte er die Stirn.
"Was meinst du damit, Francine? Eine Frohnatur ist er doch schon seit langem nicht mehr... Seit deine Mutter starb! Das hat ihn wohl so bitter und hart gemacht." Colin schien die Veränderung jetzt zu bemerken, die in Francines Gesicht vor sich gegangen war und meinte dann: "Verzeihung, ich hätte..."
"Nein, schon gut!"
"Ich wollte sagen: Ich hätte das nicht erwähnen sollen. Das war taktlos von mir. Entschuldige bitte!"
Francine schluckte.
Ja, dachte sie, das war taktlos.
Aber es waren Tatsachen. Tatsachen, die sich nicht verleugnen ließen. Francines Mutter war bei ihrer Geburt gestorben. Sie hatte sie nie kennen gelernt. Möglicherweise hatte Francines Vater sie unbewusst immer für den Tod seiner Frau verantwortlich gemacht oder sie zumindest damit in Verbindung gebracht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb es nie zwischen Dad und mir gestimmt hat, dachte Francine plötzlich, während sie den Wagen erreichten. Es war ein flotter Sportwagen. Colin hatte eine Vorliebe für so etwas. Der Kofferraum war zu klein für Francines Gepäck, deshalb packte er es auf den schmalen Rücksitz. Dann machte er eine Geste, die einladend und galant wirken sollte, in Wahrheit aber nur steif war.
"Bitte, steig ein, Francine!"
"Danke."
*
Colin hatte einen rasanten Fahrstil, mit dem er
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